Komplexes Portfolio

Merck

Herr Löber, ich habe vor diesem Interview Bekannte gefragt, was Merck ihrer Meinung nach macht. Überwiegend kam die Antwort, Merck sei ein Pharmaunternehmen. Das „Handelsblatt“ hat in einem Interview mit Ihrer CEO Belén Garijo 2023 ebenfalls den Begriff „Pharmakonzern“ verwendet. Stört Sie das?

Jein. Eines unserer drei Geschäftsfelder ist Pharma. Insofern ist es teilweise richtig, aber eben nicht nur. Merck hat in Darmstadt vor mehr als 350 Jahren als Apotheke angefangen. Pharma ist seither eine unserer Säulen. Das Unternehmen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten allerdings stark diversifiziert. Zu unseren Aufgaben in der Kommunikation gehört es, unseren Stakeholdern zu vermitteln, dass wir Pharma, aber eben auch deutlich mehr sind. Das wird auch zunehmend in der Berichterstattung reflektiert.

Die Geschichte des Unternehmens reicht bis 1668 zurück. Inwieweit pflegen Sie die Legacy als ältestes pharmazeutisch-chemisches Unternehmen der Welt? Erschwert sie es nicht, Ihre Transformation zu vermitteln?

Das gehört zu den vielen Spannungsfeldern, die wir hier kommunizieren. Merck ist ein Meister der Diversifikation. Einerseits sind wir mit vielen Geschäften im Hightech-Bereich unterwegs. Andererseits haben wir eine sehr lange Geschichte. Die Historie ist ein schöner Aufhänger, eine Besonderheit. Ich habe mal den Spruch gehört, wir seien eines der ältesten Start-ups der Welt. Das fand ich ganz nett. Dazu passt: Wir haben die besondere Eigentümerstruktur, dass rund 70 Prozent des Grundkapitals von der Gründer­familie gehalten werden. 30 Prozent sind an der Börse und wir sind damit im Dax notiert. Die kurz- und mittelfristige Kapitalmarktkommunikation nehmen wir sehr ernst, und gleichzeitig verfolgen wir eine sehr langfristige Perspektive, teils über Generationen hinweg. Diese Geschichte der kontinuierlichen Transformation erzählen zu können, reizt mich.

Sie schreiben als Merck über sich: „Wir sind ein lebendiges Wissenschafts- und Technologieunternehmen.“ Inwieweit macht es einen Unterschied, ob man als Wissenschafts- und Tech-Unternehmen kommuniziert oder als Pharmakonzern?

Die Positionierung als Wissenschafts- und Technologieunternehmen haben wir mit unserem heutigen Markendesign 2015 eingeführt. Zu dem Zeitpunkt war unser Portfolio schon recht weit aufgefächert. Auf der einen Seite haben wir den Bereich Life Science. Also alles, was man für Pharmaforschung und -produktion braucht. Der zweite Bereich nennt sich Electronics – mit Materialien und Systemen für die Halbleiter- und Displayindustrie. Und dann wie erwähnt das Pharmageschäft in unserem Bereich Healthcare. 2014/2015 wurde Merck noch überwiegend als Pharma- und Chemieunternehmen wahrgenommen. Pharma stimmt. Klassische Chemie nicht mehr. Es sind bei uns deutlich mehr technologiegetriebene Geschäfte dabei. Das wollten wir mit unserem Markenauftritt und der dazugehörigen Positionierung reflektieren.

Bringt es ein besseres Image mit sich, ein Technologieunternehmen zu sein?

Es geht nicht um einen anderen Anstrich. Pharmaunternehmen leisten einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag. Der Debatte stellen wir uns. Wenn Sie Patientinnen und Patienten fragen, bekommen Sie häufig eine positive Resonanz, weil es da ganz konkret um die eigene Gesundheit und eine individuelle Therapie geht. Wir haben uns bei Merck unter anderem auf die Krebsbehandlung spezialisiert. Da reden wir über ernste Krankheitsbilder. Was die Industrie leistet, ist für Patient-innen und Patienten unmittelbar spürbar. Unsere Technologiepositionierung bildet die Klammer um unsere drei Geschäfte.

Merck ist in drei Sparten aufgeteilt: Life Science, Healthcare und Electronics. Wie beeinflusst das Ihre Kommunikationsstrategie?

Merck ist in der Tat kein One-Trick-Pony. Es gibt nicht ein Produkt, sondern die drei erwähnten Bereiche, die wiederum in sich heterogen sind. Wir müssen als Marke eine breite Spanne von Themen und Industrien abdecken. Deshalb ist unser Messaging oft nicht so spitz ausgerichtet wie bei anderen Unternehmen. Unsere Zielgruppen haben aber eines gemeinsam: Sie sind sehr wissenschaftlich geprägt. Naturwissenschaftliche Forschung ist unser Kern. Da darf es auch gerne mal ein bisschen nerdy werden.

Löber mit CEO Belén Garijo. Die Spanierin war lange Zeit die einzige Frau, die ein Dax-Unternehmen geführt hat. © Merck

Löber mit CEO Belén Garijo. Die Spanierin war lange Zeit die einzige Frau, die ein Dax-Unternehmen geführt hat. © Merck

Viele Ihrer Produkte sind für sehr spezielle Zielgruppen relevant. Brands, die in der Breite bekannt sind, fehlen. Wie gehen Sie damit um?

Die Frage ist, wie kommuniziere ich hochkomplexe und sehr spezialisierte Produkte. Sie haben es angesprochen: Merck ist eine vergleichsweise unbekannte Marke, aber jeder hat mittelbar mit unseren Produkten zu tun. Kaum jemand weiß es. Oft ist es komplex, die Produkte in sich zu erklären. Das ist die Aufgabe, die wir haben.

Wie haben Sie Ihre Abteilung strukturiert?

Bei mir im zentralen Team sind wir eher klassisch organisiert: Neben interner und externer Kommunikation haben wir noch eine Abteilung „Marke und Content Marketing“, in der wir die Markenführung, Social Media und Web poolen. Unsere drei Sparten haben wiederum eigene Kommunikationsabteilungen und Leitungen, die aber auch bei mir angedockt sind. Diese Aufteilung ergibt aus meiner Sicht Sinn, weil das Medien­spektrum jedes Bereichs sehr speziell ist.

Mir ist aufgefallen, dass es auf X, Instagram und Linkedin jeweils Accounts für Life Science, Healthcare und Electronics gibt. Sind die Zielgruppen so unterschiedlich?

Teilweise ja. Nehmen wir die Fachmedien. Wenn ich eine Pharma-­News habe, gehen wir gezielt an Fachmedien aus diesem Bereich ran. Bei Halbleiter-­News entsprechend an ein völlig anderes Media-Set. Diese Unterschiede gibt es auch bei der Ansprache von Bewerbern. Die übergreifenden Merck-Storys erzählen wir über die Gruppen­kanäle. Es geht also um eine Balance zwischen zielgruppen­adäquater Ansprache, wo sinnvoll, und integriertem Story­telling, wo möglich.

Was sind für Merck aktuell die zentralen Corporate-Themen?

Mehr und mehr kommt das Thema künstliche Intelligenz. Wir haben durch unser Portfolio den Vorteil, sowohl Enabler von KI zu sein – über unser Materialgeschäft für die Halbleiterindustrie – als auch Anwender in allen Bereichen. Etwa im Life-Science-Geschäft, wo wir daran arbeiten, mit Hilfe von KI medizinische Forschung schneller und effizienter zu machen. Sprich: Medikamente schneller und günstiger zu Patientinnen und Patienten zu bringen. Wenn wir diese Geschichte über die ganze Wertschöpfungskette hinweg als Konzern integriert erzählen, erzielen wir einen Mehrwert. Im Dezember veranstalten wir deshalb einen KI-Tag für Medien mit Experten aus allen Teilen unserer Geschäfte.


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Welche Themen spielen Sie darüber hinaus?

Nachhaltigkeit ist für uns wie bei den meisten Unternehmen ein großes Thema. Bei uns geht es dabei nicht nur um Umweltaspekte, sondern auch um den Zugang zu Arzneimitteln. Auch beschäftigt uns, wie der Innovationsstandort Deutschland gestärkt werden kann, also wie sich Standortbedingungen für Forschung und Entwicklung verbessern lassen. Uns aus Problemen rauszuregulieren, dürfte eher nicht funktionieren. In einem Land mit wenigen natürlichen Ressourcen kommt es auf die Förderung kluger Köpfe an. Da sind wir dann auch schnell bei der Bildungsthematik.

In familiengeführten Unternehmen gibt es manchmal die Tendenz, dass sie in ihrer Öffentlichkeitsarbeit verschlossen sind. Manchmal auch, um die Familie nicht in den Fokus zu rücken. Sie sind börsennotiert. Welche Grundphilosophie verfolgen Sie in Ihrer Kommunikation?

Die Familie Merck hält bei uns die Mehrheit des Grundkapitals und ist in Aufsichtsgremien vertreten. Die Geschäftsleitung hingegen besteht aus externen Managerinnen und Managern. Es gibt eine klar geregelte Governance. Für mich ist immer die Frage, wo Merck in Debatten einen sinnvollen Beitrag leisten kann. Ich muss nicht zu allem alles sagen. Wir schauen, wo es glaubwürdig ist, dass Merck eine Meinung hat. Das sind vor allem Themen, die forschungs- und wissenschaftsnah sind und Innovationen betreffen.

Sie sind insgesamt schon etwas zurückhaltender?

Ich würde es nicht als zurückhaltend bezeichnen. Wir schauen uns einfach genau an, wo es Sinn macht, dass wir einen Beitrag leisten. Bei einer Debatte zur energieintensiven Industrie in Deutschland hätte Merck weniger zu sagen, weil wir nicht energieintensiv sind.

Seit Mai 2021 hat Merck mit Belén Garijo eine Frau als CEO. Lange war sie die einzige unter den Dax-Konzernen. Inwieweit beeinflusst dieser Sonderstatus Ihre Kommunikation?

Wir haben nicht nur eine weibliche CEO, sondern auch eine weibliche CFO. Viele Bereiche und Funktionen werden von Kolleginnen geleitet. Diese Frage höre ich fast ausschließlich in Gesprächen mit Medienvertretern. Unsere CEO sagte mal im Interview, dass es schön sei, die erste gewesen zu sein, sie aber hoffe, nicht die einzige zu bleiben. So ist es nun auch im Dax gekommen. In meinem Tagesgeschäft spielt das Thema überhaupt keine Rolle. Wir schauen uns Diversität übrigens breiter an. Es geht auch um internationale Diversität. Die ist bei uns gelebte Normalität.

Inwieweit haben Sie aufgrund dieses Sonderstatus eine spezielle Positionierung für Ihre CEO entwickelt? Female Leadership oder Gleichberechtigung wären sicherlich Felder, bei denen Frau Garijo eine gern gehörte Stimme ist.

Wir greifen das nicht proaktiv auf. Es kommt organisch und entwickelt sich in Gesprächen. Wir erhalten dazu diverse Anfragen von Medien. Aber aktiv nutzen wir das nicht zur Positionierung.

Für Merck sind die Forschungsbedingungen in Deutschland ein zentrales Standortthema. © Tobi Bohn

Für Merck sind die Forschungsbedingungen in Deutschland ein zentrales Standortthema. © Tobi Bohn

Sie selbst haben eine Merck-Vergangenheit, waren dann bei E.ON Marketing-Chef. Bei Merck sind Sie jetzt Leiter der Konzernkommunikation. Wie ist diese Position abgegrenzt gegenüber dem Marketing?

Meine Wurzeln liegen in der klassischen Kommunikation. Ich habe auf Agenturseite angefangen und auch mal Investor Relations gemacht. Wir haben bei Merck kein zentrales Marketing. Das Produktmarketing liegt in den Geschäftsbereichen. Ich kümmere mich um die klassischen Kommunikationsfelder: Medienarbeit, interne Kommunikation und Content-Marketing – mit all seinen Verästelungen.

Inwieweit wird im Marketing im Vergleich zur Kommunikation unterschiedlich gearbeitet?

Meine erste Beobachtung war, dass es so unterschiedlich gar nicht ist. Am Ende geht es darum, eine Strategie mit dem Mittel der Kreativität in eine räsonierende Geschichte zu übersetzen. Kommunikatoren genau wie Marketeers wollen etwas bei verschiedenen Zielgruppen bewirken. Im Marketing arbeitet man tendenziell stärker datengetrieben und mehr von der Kundenrelevanz her. Davon können wir uns in der Kommunikation einiges abschauen, selbst wenn nicht alles so perfekt messbar ist wie im Marketing. Den konsequenten Blick vom Kunden her – was ist für die Zielgruppe relevant? – möchte ich mir gerne erhalten.

Sie sind Co-Chair der deutschen Page Society, einer weltweiten Vereinigung für Führungskräfte in der strategischen Kommunikation. Welches Ziel verfolgen Sie mit dem Engagement?

Bei Page profitiere ich davon, dass ich sehr viele Kolleginnen und Kollegen aus internationalen Unternehmen treffe. Das Netzwerk ist US-geprägt, aber man erhält einen breiten globalen Blick. Wie machen die das in UK? Wie in den USA? Ich habe mich kürzlich in Shanghai mit Page-Kollegen aus China ausgetauscht. Das erweitert den Horizont und bricht das eine oder andere Denkmuster. Gemeinsam mit Philip Müller von PRCC kümmere ich mich darum, die deutsche Community zu orchestrieren und eine Brücke zum internationalen Netzwerk zu schlagen.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen, denen sich die Kommunikation und vor allem Merck stellen müssen?

Extern ist es die kontinuierliche Reise, Merck so zu positionieren, wie es der Realität unseres diversifizierten Portfolios entspricht. Wir pflastern nicht die Öffentlichkeit mit Werbung zu, sondern sind mit Earned, Owned und Shared unterwegs. Nach innen ist für mich das größte Thema, wie wir es als Kommunikationsabteilung schaffen, AI für uns nutzbar zu machen, um unsere Qualität, Effizienz und Kreativität zu verbessern. Wir haben dazu ein Upskilling-Programm für das gesamte Team aufgelegt. Ich nehme mich da nicht aus. Auch für mich ist AI eine Veränderungsreise. Wir verfügen bei Merck über eine hauseigene KI-Plattform für alle Mitarbeitenden, auf der man im geschützten Raum unterwegs ist, und bauen aktuell Use Cases, wie wir AI für die Kommunikation nutzbar machen können. Wir probieren viel aus. Es ist wie oft im Leben: Manchmal muss man halt einfach mal anfangen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Technologie. Das Heft können Sie hier bestellen.