Hans Georg, woran arbeitest du momentan?
Kurz gesagt: an Pompeji. Ich habe die vergangenen drei Jahre intensiv Pompeji fotografiert.
Wie kam das?
Letztlich auf Einladung von Gabriel Zuchtriegel, dem Direktor des dortigen archäologischen Parks. Er und seine Stellvertreterin kannten mein Buch über die Skylines der Welt. Dem Buch zugrunde liegt ein quasi antiker Blick, wie der Archäologe Wolfgang Filser erkannte. Denn die Römer hatten ihre Villen so gebaut, dass sie aus dem Esszimmer oder vom Bett aus Panoramen sehen konnten. Und meine Skylines sind praktisch Panoramen.
Ich selbst war 2021 das erste Mal in Pompeji. Das war für mich bis dahin nur ein historisch aufgeladener Begriff. Er stand für etwas Unerreichbares. Als ich aber dann das erste Mal dort war, war ich nicht nur überrascht und fasziniert von der Architektur und der urbanen Struktur, sondern auch wie elektrisiert von der Gleichzeitigkeit der unerreichbaren Ausgrabungen des römischen Pompejis mit der Normalität und Lebendigkeit der heutigen Stadt. Dieses Aktuelle des Geschichtlichen spiegelt sich in den bisherigen Bildbänden nicht wider. Mein Team und ich haben dann entschieden, dieses Pompeji umfangreich zu sichten, zu erfahren, zu dokumentieren: eben zu fotografieren.
Wo zeigt ihr die Bilder?
In Pompeji werden sie künftig in einer ständigen Ausstellung in der neuen Bibliothek präsentiert – als zeitgenössisches Statement neben den historischen Bildern von 1840 und später. Und ich zeige die Bilder in meinem Buch über meinen „architektonischen Blick“: „Pompeji“. Und außerdem gehen sie auf große Tour durch Europa. Aktuell sind sie in Köln im Italienischen Kulturinstitut zu sehen (bis 13. Dezember 2024, Anm. d. Red.).
In deiner Heimatstadt.
Die ich auch gerade neu fotografiere. Ich will auch in Köln das noch sichtbare Römische erblicken und es dann dem ausgegrabenen römischen Pompeji gegenüberstellen.
Der Blick in die Vergangenheit als neues fotografisches Projekt. Klingt so, als würdest du gerade die Fotografie neu entdecken.
Das wäre übertrieben, ist aber doch auch ein Stück weit so. Wir leben in turbulenten Zeiten mit großen klimatischen, aber auch politischen und sozialen Herausforderungen. Eine Frage ist: Was kann man durch den fotografierten Blick in die Vergangenheit lernen? Der Blick ins alte Römische lohnt dabei. Vieles haben die im Städtebau besser gemacht als wir heute. Arm und Reich lebten nebeneinander, es gab keine Segregation. Die Häuser hatten flexible Grundrisse und übrigens auch schon fließendes Wasser. Dies zu zeigen und so vielleicht sogar die eine oder andere Stadtplanung von heute zu bereichern, sehe ich auch als eine meiner Aufgaben als Architekturfotograf an.
Fotografie als das Medium, das die Zeiten zusammenbringt.
Genau, wir Fotografen sind ja nicht nur die Dokumentare der Gegenwart. Wir liefern auch neue Blicke auf Altes.
Einzigartige Perspektive auf Dubai mit dem Burj Khalifa über den Wolken. © HGEsch
Auch eure Branche befindet sich im Umbruch. Wie hat sich deine Arbeit in den letzten Jahren verändert?
Natürlich bedeutete die Umstellung von analog auf digital in den Nullerjahren einen Umbruch. Ich fand das spannend und habe dann auch als erster Architekturfotograf in Deutschland digital fotografiert. Ich war immer nah dran an der Industrie und habe so mit ihr zusammen eine digitale Plattenkamera entwickelt. Das war eine Innovation! Wir Fotografen sollten uns immer auf neue Techniken einlassen. Schließlich stehen wir in der Tradition derjenigen, die das Schaffen von Bildern so revolutioniert haben wie Gutenberg die Verbreitung von Schriften. Und es ist doch super, mit 50 Kilo weniger Gepäck zu reisen und die Ergebnisse der eigenen Arbeit sofort sehen zu können. Und das in einer Wahnsinnsauflösung. Ich kann mich so viel mehr aufs Motiv konzentrieren. Denn ich muss mich nicht mehr mit Problemen wie den unterschiedlichen Lichtfarben rumärgern.
Kritiker sagen, digitale Fotografie führe zu einer großen Einheitlichkeit.
Das stimmt nicht. Es kommt mehr denn je auf den eigenen Blick an. Natürlich gibt es Modeerscheinungen wie Instagram. Darauf fallen auch einige Fotografen rein. Am Ende aber gilt: Du musst du selbst sein und deine Art Fotografie durchziehen, deinen Blick durchsetzen. Ansonsten verspielst du deine Berechtigung, dich als Fotografen zu verstehen. Aber natürlich entwickelt – oder besser – verändert sich die Fotografie. Meine Bilder sahen vor 40 Jahren auch anders aus als heute. Aber im Kern muss man sich und seinem eigenen, subjektiven Blick treu bleiben.
Wie würdest du die Sprache deiner Fotografie skizzieren?
Ich liefere keine Reproduktion des Gebauten. Früher hat man axial fotografiert, mit möglichst wenig Sonne. Man hat Atmosphäre gemieden und letztlich durch Fotos Reproduktionen architektonischer Pläne abgeliefert. Auch viele alte Fotografien aus Pompeji sehen so aus. Das mache ich nicht. Ich habe vielmehr Lust, mit Tageslicht zu spielen, mit verschiedenen Wettern, mit den Jahreszeiten und vor allem auch mit städtebaulichen Zusammenhängen.
Wie geht das?
Ich will einen Über-Blick geben. Wo steht ein Haus? Wie steht es? Früher hat man das mit Hubwagen gemacht, jetzt logischerweise mit Drohnen. Es geht also immer um eine leicht erhöhte Perspektive: Mit der Drohne bin ich viel flexibler. Ich bin stufenlos am gewollten Foto orientiert.
Du bist, wie die meisten Fotografen und wie viele bildende Künstler, auf Social Media unterwegs. Was bedeuten dir die sozialen Medien?
Ehrlich gesagt: gar nicht so viel. Klar, wir sind als Büro HGEsch bei Instagram und Linkedin präsent. Facebook haben wir gecancelt. Viele unserer Kunden schauen in unsere Auftritte in den sozialen Medien. Unsere Kanäle aber bespielt ein Mitarbeiter von mir, der mit mir lediglich vorab die Themen bespricht. Wir dokumentieren hauptsächlich, was wir machen. Veritable Bildqualität aber transportiert sich nicht darüber. Visuelle Kommunikation geht nicht ausschließlich über Social Media – und wird es auch nie. Es braucht immer noch das Buch oder das fotografische Original, das Bild an der Wand.
Viele Unternehmen sehen das heute anders. Und auch deine Primärkunden, die Architekten, sind viel auf Instagram unterwegs.
Stimmt. Mich überrascht das auch nicht. Dass das aber für sie kommunikativ ausreicht, sehe ich genauso wenig. Denn es kommen immer häufiger Anfragen an mich, gemeinsam mit ihnen ein Buch zu machen.
Und nun kommt auch noch das neue Megathema: KI. Kannst du ein KI-generiertes Foto erkennen?
Nicht immer. Das wird immer schwieriger.
Welche Rolle spielt die künstliche Intelligenz in deiner Arbeit?
Wir nutzen KI etwa in der Weiterverarbeitung von Bildern bei Photoshop. Du kannst schon mal schnell die eine oder andere Baustelle wegretuschieren. Für die Bilderstellung würde ich nie KI nutzen. Denn das Authentische zählt, der Schönheitsfleck – der visuelle Beweis, dass du wirklich vor Ort gewesen bist. Der subjektive Blick wird so gesehen durch KI sogar noch wichtiger, denn nur er zeigt das Nichtvorstellbare. Das, was sich durch die Realisierung von Architektur ergeben hat. Deshalb wird die KI im Architekturbereich nie den Fotografen ersetzen. Übrigens auch nicht in der Porträtfotografie. Unternehmen tun gut daran, ihre Vorstände immer von Menschen fotografieren zu lassen und weiterhin auf den Dialog des Fotografen mit dem Model zu setzen. Etwas anderes ist es in der Werbung. Da spielt Authentizität sowieso nicht die Hauptrolle. Und auch in der Welt der fotografierten physischen Produkte. Da kann die KI vieles übernehmen.
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Ich beobachte zwei parallele Bewegungen: Einerseits gibt es eine zunehmende Skepsis gegenüber bildbezogener Kommunikation. Sie wird durch KI befördert. Andererseits fokussiert sich die Kommunikation immer stärker auf Bilder, sowohl auf Fotos als auch auf Bewegtbild. Auch Architekten beteiligen sich an der momentanen Bilderflut.
Dass für die Architekturbüros Bilder immer wichtiger werden, ist ja eine sehr gute Sache. Schließlich sehen wir Architektur und lesen sie nicht, womit der Blick auf das Gebaute weiterhin wichtiger ist als der Zweck des Gebauten. Die Nutzer wechseln, die Architektur bleibt. Dieser Blick bestimmt dann auch die Kommunikation über die digitalen Bildmedien. Teilweise verdrängt das suggestive Bild sogar den echten Eindruck vor Ort. Ich habe kürzlich ein markantes Hochhaus in Den Haag fotografiert. Befreundete Architekten, die das Gebäude daraufhin besuchten, meldeten sich bei mir und sagten: „Der reale Eindruck ist schwächer als die Bilder.“
Hier wird die Bildmacht fast schon problematisch.
In gewisser Weise Ja. Aus meiner Sicht aber natürlich Nein! Schon der US-Architekt Richard Meier hat mal gesagt, sein Erfolg liege zu 40 Prozent an seinem Fotografen. Und Architekten, die ihre Architektur auch in Bildern entwerfen, haben einfach Freude an den tollen Bildern, zum Beispiel von mir als Architekturfotografen. Mit dem Architekten Christoph Ingenhoven, dessen Werk ich seit 30 Jahren begleite, mache ich beispielsweise gerade ein reines Fotobuch.
Nutzen die Architekten deine Bilder auch in ihrer Arbeit? Ist die Fotografie in diesem Sinne für sie Arbeitsmaterial?
Ja, sehr häufig und immer mehr. Ich zeige durch meinen Blick auf ihr Gebautes bewusst auch bisweilen für sie neue Perspektiven auf. Ich wähle Standorte, die sie in ihrer eigenen Planung gar nicht bedacht hatten und die man in keiner Skizze und in keinem Rendering findet. Diese Blicke eröffnen ihnen dann neue Perspektiven auf ihre Architektur. Vielen geht es auch einfach um Marketing. Schließlich kriselt gerade die Baubranche, was die Planungsbüros eins zu eins zu spüren bekommen.
Häufig fotografierte Esch Megacitys wie New York. © HGEsch
Angekommen ist die Baukrise auch bei den Projektentwicklern. Wie arbeiten die mit Fotografie?
Zunehmend bewusster und anspruchsvoller. Diese Zielgruppe war für uns immer wichtig, macht aber gerade schwierige Zeiten durch. Ich habe beispielsweise viel für Signa fotografiert, die ja nun in Konkurs gegangen ist. Den Elbtower etwa habe ich lange fotografisch begleitet. Entwickler legen heute auch Wert auf Bilder, die den Entstehungsprozess ihrer Gebäude zeigen. Insgesamt ist die von ihnen gewünschte Bildsprache aber immer noch vor allem werblich. Sie müssen eben verkaufen und brauchen dafür vor allem betörende Bilder. Subtile Themen wie die Materialität von Gebäuden bleiben da schon mal auf der Strecke.
Schaut man in die Geschichte der Fotografie, dann gab es immer Bilder, die selbst zur Ikone wurden. Etwa die legendäre Nachtaufnahme, die Julius Shulman von Pierre Koenigs Stahl House in Los Angeles machte. Sind solche Bildikonen heute auch noch denkbar?
Natürlich. Bei meinen Bildern aus Pompeji haben fast alle Zeitungen dasselbe Bild ausgewählt. Es gibt sie also noch, die ikonischen Fotos.
Und strebt man das als Fotograf auch weiterhin an?
Klar, das ist das große Ziel. Ikonen schaffen Wiedererkennbarkeit, wodurch man als Fotograf dann sogar seinerseits zu einer Marke wird.
Siehst du dich eher als Fotograf oder als Architekturfotograf?
Als Architektur- und Städtefotograf. Ich glaube auch, dass wir Fotografen uns spezialisieren müssen. Andere Sujets interessieren mich persönlich aber auch nicht so sehr. Ich fotografiere keine Produkte, keine Objekte. Eine Zeit lang habe ich auch Möbel fotografiert und früher auch mal Mode. Aber der stille Dialog mit einem Gebäude oder einer urbanen Situation, der ist es, der mich fast schon erotisiert.
Viele Leute sagen, Architektur und Mode hängen eng zusammen.
Das mag auch stimmen. Aber die Modeszene fand ich ehrlich gesagt anstrengend. Eigentlich lag mein visuelles Interesse von Beginn an in der Architektur.
Wie hat es damit bei dir angefangen?
Als ich zwölf Jahre alt war, hat mein Vater, ein Schulleiter, mir meine erste Kamera geschenkt. Ich sollte Schlösser und Burgen im Rheinland fotografieren, die er im Unterricht ansprechen wollte. Das hat mir von Beginn an viel Spaß gemacht.
Wie steht es mit Bewegtbild?
Das ist extrem wichtig! Ich mache seit 2014 auch Architekturfilme. Der Filmregisseur Oliver Schwabe war damals Mitarbeiter in meinem Studio. Sehr unterstützt hat uns von Beginn an das Architekturbüro gmp und dessen damaliger Kommunikationschef Michael Kuhn. Wir haben zunächst mit Filmen über den Lehrter Bahnhof und das Olympiastadion in Berlin experimentiert. Bis heute haben wir für gmp fast 20 Filme realisiert, ebenso wie wir viele für Christoph Ingenhoven gedreht haben. Die meisten Büros machen einfach nur irgendwie Filme. So nutzen sie das Medium Film nicht spezifisch. Heraus kommen statische Einstellungen, weil die Kamera sich nicht im Raum bewegt. Ein Film aber muss in meinen Augen durch die Räume fließen, muss Geschichten erzählen, muss zeigen, wie Menschen in den Gebäuden sich verhalten, wie sie mit Architektur umgehen und wie die Architektur ihre Bewegungen und so ihr Wohlbefinden mit beeinflusst.
Womit wir bei einem PR-Lieblingsthema wären: dem Storytelling.
Ich finde gut erzählte Storys klasse. Genau das strebe ich mit meiner Fotografie und meinen Filmen an. Das passt zu meinem Bildverständnis, für das nur der subjektive Blick zählt.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Visuell. Das Heft können Sie hier bestellen.