Was heißt überhaupt Mut? (1)

Menschen erzählen

„Ich habe bei vielen in die Komfortzone eingegriffen“

Simon Pink, Head of Marketing und PR der Johannesbad-Gruppe

Simon Pink (c) Johannesbad

„Ich war lange Zeit in der internationalen Hotellerie tätig und habe mich dabei mit den verschiedensten Kulturen und Mentalitäten auseinandergesetzt. Die weltoffene Atmosphäre empfand ich als angenehm, alles war sehr professionell. Je größer ein Konzern jedoch ist, desto langsamer können auch Entscheidungen und Veränderungen in Gang gesetzt werden.

Deshalb habe ich nach einer neuen Herausforderung gesucht, nach einem Umfeld, in dem ich Prozesse schneller verändern kann. Und so habe ich den Schritt in die niederbayerische Provinz gewagt. Gleichzeitig habe ich auch die Branche gewechselt: Jetzt bin ich im Gesundheitswesen tätig.

In meinem heutigen Job ist vieles anders, als ich das aus meiner früheren Tätigkeit kannte – vor allem die Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen. Ich stoße mit meinen Ideen weiterhin auf sehr viel Widerstand. Ich glaube, gerade zu Beginn empfand man mich vielleicht als arroganten Schnösel vom Großkonzern, der denkt, er wisse alles besser. Aber das macht mir nicht sehr viel aus. Und eigentlich ist das ja auch kein Wunder. Ich habe bei vielen Menschen empfindlich in die Komfortzone eingegriffen, langjährige Strukturen infrage gestellt. Aber am Ende muss die Sache siegen.

Viele wollten sich nicht auf Unbekanntes einlassen. Motto: „Geht das nicht weiterhin auch mit dem alten Excel-Sheet oder auf dem kleinen Dienstweg?“ Dann gehe ich auf die Menschen zu und wechsle auch mal die Perspektive, erkläre, warum manches mit einem professionellen System und klaren Prozessen besser funktioniert und welche Vorteile die Kollegen davon haben.

Das geht von Kleinigkeiten wie einheitlichen Personalmeldungen über klare Prozesse – zum Beispiel: Wer darf die Grafik briefen, wer nicht? – bis zu neuen Systemen. Anfangs habe ich beispielsweise alle Grafikaufträge freigegeben. Heute läuft die Beauftragung und Abwicklung unseres internen Grafikers über ein neues System.

Solche Situationen gab und gibt es sehr oft. Aber ich scheue keine Konfrontationen. Harmonie ist für mich, mit Konflikten sachlich umzugehen. Es geht aber nicht darum, keine zu haben.“

Protokoll: Simone Dettelbacher

„Ich fing noch mal neu an“

Patrick Herrmann (c) Studio Hirschmeier

Patrick Herrmann, Speaker und Coach

„Nach einer miserablen Schulzeit, geprägt von Mobbing, zwei Ehrenrunden und schlechten Noten, flüchtete ich zur Bundeswehr. Dort konnte ich mein nicht vorhandenes Selbstbewusstsein unter Dienstgraden und hierarchischen Strukturen gut verstecken. Die ersten Jahre nach der Schule waren geprägt von Partys, Alkohol und Frauen. Am Ende war ich ein verschuldeter Tätowierer, und ein Experiment als Nageldesigner war ebenso gescheitert wie eine Karriere als Leistungssportler im Basketball.

Die Verpuppung kam mit meiner Frau. Ich hatte mich quasi in den Feind verliebt: Sie war Lehrerin. Durch sie und ein neues privates Umfeld entdeckte ich meine Leidenschaft für Bücher, Psychologie und Philosophie. Mit der Horizonterweiterung kam der Frust. Ich wollte raus aus der Bundeswehr, begann mich mit der buddhistischen Lehre zu befassen. So fand ich meinen inneren Kompass. Ich fing wieder an, Basketball zu spielen. Die erfolgreichste Zeit stand mir bevor: der Aufstieg in die 2. Bundesliga – als Reservespieler zwar, aber immerhin!

Die Metamorphose folgte dann mit der Geburt meines Sohnes. Die zwei Jahre Elternzeit war die schönste und wertvollste Zeit meines Lebens. Sie führten mich zu neuen Fragen: ‚Was will ich und was kann ich?‘ Nach langer Überlegung traf ich die Entscheidung, noch einmal neu anzufangen. Ich holte mein Fachabitur nach.

Endlich entfaltete ich mein Potenzial. Es war die Verwandlung zum Schmetterling, wenn man so möchte. An der Fachschule lernte ich meinen Mentor kennen. Er sprach aus, was vielen längst bewusst war, nur mir nicht: Ich war sensibel, empathisch und verstand etwas von Menschen. Den Panzer, den ich mir zugelegt hatte, legte ich nun nach und nach ab. Vier Jahre des Mentorings waren geprägt von Mutproben. Immer wieder musste ich meine Ängste überwinden und das Risiko eingehen, verletzt und enttäuscht zu werden. Es geschah jedoch nur selten.

Ich studierte dann Sozialpädagogik und wurde anschließend Körpersprache-Trainer. Meine Expertise zum Thema Mut gebe ich heute als Speaker weiter.“

„Wir erhielten Morddrohungen“

Mary Worch, Teamlead Corporate Communications beim E-Commerce-Unternehmen Spreadshirt

Mary Worch (c) Jasmina Meyer - Spreadshirt

„Spreadshirt ist ein internationales E-Commerce-Unternehmen mit Hauptsitz in Leipzig. Wir ermöglichen unseren Kunden, mittels Print-on-Demand persönliche Botschaften auf Kleidung und Accessoires zu platzieren. Designer können ihre Motive bei uns zum Verkauf anbieten. Wir verstehen es als unsere Rolle, der Ideenvielfalt eine offene Plattform zu bieten und sie umzusetzen. In Ausnahmefällen kann das zu Kontroversen führen – wie im Frühjahr 2017.

Verschiedene Designer boten seinerzeit über Spreadshirt die Motive „Save a Dog, Eat a Chinese“ sowie „Save a Shark, Eat a Chinese“ an. Nach ersten, vereinzelten Beschwerden über diese Motive erhöhte sich in den darauffolgenden Tagen die Schlagzahl der Anfragen weltweit. Uns erreichten immer mehr Aufforderungen, die Motive zu löschen. Die Causa wurde in China, aber auch international zu einem Thema für die Medien. Die chinesische Botschaft nahm Stellung. Sie argumentierte, die Motive hätten einen erheblichen Einfluss auf das deutsch-chinesische Verhältnis, und das Image Deutschlands und deutscher Firmen im Ausland werde in Mitleidenschaft gezogen.

Außerdem gab es Petitionen und Boykottaufrufe gegen Spreadshirt, eine Abmahnung, Morddrohungen gegen den CEO. Als erfahrener Kommunikationsverantwortlicher weiß man zwar mit kritischen Medienanfragen und Social-Media-Stürmen umzugehen. Wenn jedoch persönliche (Mord-)Drohungen eintreffen, einem Hassmails und Leichenbilder gesendet werden und ein Vorgang zu einem Politikum wird, lässt einen das nicht unberührt.

Natürlich hätten wir entscheiden können, wir löschen das Design, und das sensible Thema ist vom Tisch. Doch es ging hier um das große Ganze. Meinungsfreiheit und künstlerische Freiheit sind uns als Werte sehr wichtig – und selbstverständlich haben sie ihre Grenzen, festgelegt vom Gesetzgeber und in unseren eigenen Richtlinien.

Wir haben uns dafür entschuldigt, dass das Motiv zu Unmut geführt hat, und mitgeteilt, dass Spreadshirt nicht die Absicht hatte, jemanden zu verletzen. Unsere Entscheidung jedoch war eindeutig: Die beiden umstrittenen Motive bleiben online.“

„Ich hatte alles verbraten“

Bruno Aregger, Speaker und Gründer des Schweizer Beratungsunternrehmens Appletree

Bruno Aregger (c) privat„‚Von nix kommt nix‘ – mit diesem Spruch bin ich, aus einer Unternehmerfamilie stammend, groß geworden. Inzwischen bin ich seit 23 Jahren selbst Unternehmer und habe meine eigene Philosophie entwickelt. Und die ist das Ergebnis eines intensiven, erfahrungsreichen Prozesses, in dem Fehler eine große Rolle spielten.

Ich habe mich leider zu oft mit den falschen Mitarbeitern, den falschen Beratern und den falschen Kunden – oh ja, die gibt es auch – eingelassen. Das Problem bestand stets darin, dass wir nicht dieselben Werte vertraten. Ein Aspekt, den man nicht unterschätzen sollte. Das hatte sogar zur Folge, dass ich in mehrere Gerichtsprozesse verwickelt war und diese dann auch noch verloren habe.

Irgendwann saß ich da und dachte: ‚Wow, ich habe es geschafft, alles, was ich hatte, zu verbraten.‘ Und wir reden hier von Summen, die dem gesamten Einkommen entsprechen, das ein durchschnittlicher Schweizer im ganzen Leben verdient!

Statt mich weiter selbst zu bemitleiden, habe ich dann die Offensive gewählt: Ich schrieb alles auf, was ich erlebt hatte. Denn ich wollte andere vor ähnlichen Fehlern bewahren. Dieses Buchprojekt war bis zum letzten Satz für mich hochgradig emotional. Immerhin habe ich Dinge offengelegt, die den meisten peinlich wären. Zu meinem Glück kam das Buch sehr gut an. Trotzdem werden die Tatsache, dass wir Fehler machen, und die Eigenschaft, zu ihnen zu stehen, in unserer Kultur leider viel zu wenig honoriert. Aber ich bleibe bei meinem ehrlichen Kurs und sage dann auch mal jemandem – natürlich unter vier Augen –, dass er sich wegen eines bis dahin von allen Seiten totgeschwiegenen Burn-outs lieber krankschreiben lassen solle. Nur weil das Aussprechen der Wahrheit manchmal unangenehm ist, bedeutet es eben nicht, dass die Dinge besser werden, wenn man über sie schweigt.“

Protokoll: Simone Dettelbacher

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe MUT. Das Heft können Sie hier bestellen.

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