Etwas andere PR-Karrieren: Der bunte Faden

Jörg Moberg war bereits seit 15 Jahren in der Finanzkommunikation tätig, als er 2005 zusammen mit seiner Frau und den drei Kindern die Koffer packte. Sein Arbeitgeber, der Vermögensverwalter Fidelity, hatte ihm nach langer Zeit in Frankfurt und kürzerer in London angeboten, in das Stockholmer Büro zu wechseln und von dort aus die Kommunikation für Zentral- und Nordeuropa zu leiten. Moberg sagte sofort zu. Doch der Umzug in die schwedische Hauptstadt sollte nicht der einzige Umbruch bleiben. Mit der Zeit entstand der Plan, dort eine eigene Bäckerei zu gründen.

„Ich war nicht wirklich amtsmüde, aber meine Frau und ich wollten gerne mal zusammen arbeiten und dadurch mehr Zeit miteinander verbringen“, erklärt der 52-Jährige den Entschluss. Gemeinsam analysierten sie vor Ort den Markt für Sauerteigbrot und bereits 2007 konnte das Brothaus Moberg eröffnet werden. Die Kollegen bei Fidelity nahmen den Jobwechsel gelassen: „Eventuell hat der eine oder andere die Stirn gerunzelt, als er von unseren Plänen erfahren hat, aber die meis­ten haben uns dazu beglückwünscht“, so Moberg. Das Büro des ehemaligen Arbeitgebers vor Ort bestellte sogar regelmäßig Brot aus seiner Backstube. Dem PR-Geschick des Gründers verdankte der Laden große mediale Aufmerksamkeit. Es gab viel zu tun, dennoch war das Tempo des neuen Arbeitsalltags ein grundlegend anderes. Moberg resümiert: „Trotz des großen Arbeitspensums in der Bäckerei war das für mich eine komplette mentale Entschleunigung.“

Manchmal muss man von einem eingeschlagenen Weg abweichen, sich beruflich auf neue Pfade begeben. Das heißt allerdings nicht, dass der ursprüngliche Plan ein falscher war, oder dass man sich verirrt hat.
„Umbrüche gehören zum Leben dazu. Meiner Erfahrung nach ist ein roter Faden in jeder Vita vorhanden, wenn auch nicht immer auf den ersten Blick“, sagt Monika Schammas, Gründungs-Gesellschafterin der Kommunikations- und Personalberatung Comtract. In ihrer Funktion als Karriere­beraterin hat Schammas eine Art „Röntgenblick“ auf Lebensläufe entwickelt. Auch vermeintlich krumme Berufswege erweisen sich ihr zufolge meist als schlüssig, wenn man ein wenig tiefer gräbt.

Eine Vita ganz ohne Brüche gibt es selten, schlussendlich machen gerade diese die Persönlichkeit aus, bilden das Profil eines Menschen, der mehr als ein Interessengebiet hat. Und auch zum Job gehört natürlich nicht nur Kommunikations-Know-how sondern auch der persönliche Erfahrungsschatz.

Zwischen Rezeption und Radio

Auch Birgit Koller-Böhm hat die Erfahrung gemacht, dass eine Karriere nicht immer planbar ist. Seit Anfang des Jahres ist sie PR-Managerin der Hotelgruppe Arcotel. Dabei sahen ihre Berufsvorstellungen ursprünglich anders aus. Nach dem Abitur absolvierte die Österreicherin eine Ausbildung am Tourismuskolleg, arbeitete unter anderem an der Rezeption und im Service. Danach schloss sie ein Studium der Publizistik und Kommunikationswissenschaft an, mit dem Ziel, sich stärker in Richtung Werbung und Eventmanagement zu orientieren. Doch es kam anders: Nach einem Praktikum bei einem Wiener Radiosender wurde Koller-Böhm dort ein Job angeboten. Sechs Jahre lang war sie von da an in verschiedenen Stationen beim Hörfunk tätig, zu Beginn in der Redaktion, später als Nachrichtenmoderatorin. „Das hat sich einfach so ergeben, es war nie mein Plan, beim Radio zu arbeiten“, sagt Koller-Böhm heute. „Ich glaube, das ist oft so – man muss erst in der Szene drin sein, um sich einen Beruf wirklich vorstellen zu können.“

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On Air: Sechs Jahre lang war Birgit Koller-Böhm beim Hörfunk beschäftigt. Dann erfüllte sie sich ihren Wunsch, in die PR zu gehen. (c) Privat

Irgendwann hatte sie Lust auf eine neue Herausforderung und stieß auf die Stellenanzeige der Hotelgruppe. „PR hat mich immer interessiert, ebenso wie der Tourismusbereich. Die Stelle passte perfekt.“
Die PR-Managerin, die zusammen mit einer Kollegin auch für die interne Kommunikation der zehn Arcotel-Hotels zuständig ist, profitiert nun von ihrem Blick über den Tellerrand. „Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie es ist, zu kellnern oder an der Rezeption zu stehen, mit welchen Fragen und Problemen die Menschen dort auf einen zukommen. Dieses Verständnis hilft mir in der PR-Arbeit.“

Auch ihre Stationen beim Radio möchte Koller-Böhm nicht missen. „Hier habe ich gelernt, zu recherchieren, Themen nach ihrer Wichtigkeit zu ordnen und auf den Punkt zu bringen. Beim Radio ist man sofort on Air, wenn etwas passiert. Schnelligkeit und die Fähigkeit zur Improvisation sind essentiell.“ Ihre beruflichen Abstecher sieht die Kommunikatorin daher positiv: „Aus jeder Tätigkeit kann man etwas für die weitere Laufbahn mitnehmen.“

Persönlichkeiten gesucht

Manchmal scheint das eigene Profil wie ein fehlendes Puzzleteil zu einem Gesuch zu passen. „Wer sich auf ein Fachgebiet spezialisiert hat, hat meist weniger Optionen, sollte diese dann aber umso zielgerichteter verfolgen“, beschreibt Personalberaterin Schammas die Herausforderung für Experten. „Mir begegnet es immer wieder, dass Arbeitgeber betonen, dass sie Persönlichkeiten suchen. Gerade Menschen, die ihre eigenen beruflichen Umwege gegangen sind, bringen diese oft mit.“ Wie viel Geradlinigkeit gefragt ist, hänge aber immer stark vom Unternehmen ab. In einem kleinen Familienunternehmen, das nicht permanent im Licht der Öffentlichkeit steht, wird ein Quereinsteiger, der sich PR-Professionalität erst noch aneignen muss, willkommener sein, als in einem Dax-Konzern.

Kommt man an den Punkt, sich neu zu bewerben, hilft es, die Vorzüge seines abwechslungs- und erfahrungsreichen Lebenslaufs zu betonen, statt vermeintliche Unterbrechungen oder Sackgassen zu verstecken. „Es ist enorm wichtig, authentisch zu sein und zu seiner Vita zu stehen“, betont Schammas. Gerade von einem Kommunikator müsse man erwarten können, dass er auch Kritisches argumentieren kann. Vielen seien die verschlungenen Wege in der Vita jedoch zunächst unangenehm. Wenn Schammas danach fragt, was die Leute aus ihren einzelnen Stationen gelernt haben, erhellen sich die Mienen meist: „Da fällt ihnen immer etwas ein.“

Von der Küche in die PR-Abteilung

Martin Jeutner, heute Pressesprecher der karitativen Stephanus-Stiftung, war nicht immer klar, wohin ihn seine berufliche Reise führen würde. Zu Beginn der 1980er Jahre machte er in der DDR eine Ausbildung zum Koch. Eine pragmatische Entscheidung statt lang gehegter Wunschvorstellung. Nachdem der Pfarrerssohn einige Jahre lang in verschiedenen Küchen – von der Autobahnraststätte bis zum diakonischen Unternehmen Oberlinhaus – gearbeitet hatte, wusste er, dass er diesen Beruf nicht bis zur Rente ausüben wollte.

„Der Impuls in die Kommunikation einzusteigen, kam 1987, als ich im St. Elisabeth-Stift in Ostberlin angefangen habe“, sagt Jeutner. Die Leitung des Altenpflegeheims bekam eines Tages einen Kopierer aus dem Westen geschenkt, woraufhin eine Hauszeitung eingeführt wurde. Für diese sollte Jeutner Rezepttipps verfassen. Das Schreiben ging ihm locker von der Hand, schließlich wurde er fester Teil der Redaktion. Zwei Jahre nach seiner Ausreise nach Westberlin bewarb sich Jeutner an der Berliner Hotelfachschule, und drückte mit dem Schwerpunkt Marketing und Kommunikation erneut zwei Jahre lang die Schulbank. „Ich hatte keinen Plan, wo genau das hinführen sollte. Hauptsache war, nicht mehr kochen zu müssen.“ Als es nach dem erfolgreichen Abschluss der Ausbildung ans Bewerben ging, fiel ihm auf, dass er über keine Arbeitszeugnisse seiner Stationen verfügte. Er schrieb sich diese selbst und bat seine ehemaligen Arbeitgeber darum, zu unterzeichnen. Der Direktor des Oberlinhauses interessierte sich für seine Ausbildung und machte ihm schließlich das Angebot, in die Kommunikation einzusteigen. „Plötzlich war ich Leiter der Spendenabteilung, hatte drei Mitarbeiter und sollte die Pressearbeit für einen internationalen Taubblindenkongress verantworten. Dabei hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch keine einzige Pressemitteilung geschrieben.“ Ratschläge und Hilfe bekam er von einem befreundeten Kommunikator.

Jeutner bildete sich weiter fort, schloss ein Fernstudium im Bereich Kommunikation und Journalistik an. 1995 ging der für die Leitung der Kommunikation des Oberlinhauses verantwortliche Diakon in den Ruhestand, Jeutner rückte nach. 2004 wurde ihm schließlich die Stelle als Leiter Kommunikation der Stephanus-Stiftung angeboten, die er noch heute bekleidet. Bewerben müssen hat er sich in seiner Karriere nie. „Geld oder Macht spielten nie eine große Rolle für mich. Ich habe immer nur geschaut, ob mich die Aufgabe herausfordert und ich sie erfüllen kann.“

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Martin Jeutner 1988 in der Küche des St. Elisabeth-Stifts in Berlin. Inzwischen gehört die Einrichtung zum Konzern Stephanus-Stiftung, wo Jeutner heute Pressesprecher ist. (c) Privat

Seine ursprüngliche Ausbildung hat Jeutner dabei nie bereut, erempfindet die gemachten Erfahrungen als Bonus. „Ich habe als Koch gelernt, an mehreren Gerichten gleichzeitig zu arbeiten und die Übersicht zu behalten. Jeder möchte etwas anderes essen. Doch jedes Gericht braucht seine Zeit und muss zum richtigen Zeitpunkt fertig sein, damit alle gemeinsam essen können. In der Kommunikation ist das ganz ähnlich. Ohne meine Erfahrungen als Koch könnte ich heute nicht so erfolgreich arbeiten.“ Nicht jedem liegt das stringente Vorzeichnen des eigenen Werdegangs. „Wege können so vielfältig sein, das Geradlinige ist oft langweilig. Die großen Konzernchefs haben alle keinen Karriereplan gehabt. Ich glaube, dahin wird es sich wieder entwickeln.“

Jeutner bekommt häufig Bewerbungen von jungen Menschen, bei denen er nicht so recht weiß, wo sie hinwollen. Dann sucht er im Gespräch nach einem Thema, für das sie brennen. Abschlussarbeiten geben manchmal einen Hinweis. Jeutner freut sich über die vielfältigen Möglichkeiten der heutigen Berufsanfänger, die zahlreichen Auslands­aufenthalte, die ihm schon in den Lebensläufen der Studenten begegnen – „wer flexibel ist, wird es leichter haben. Gerade in den vergangen­en Jahren ist mir deutlicher geworden: Die eigentliche Berufung findet den, der offen ist dafür und wer Veränderungen als Chance annimmt. Absichern kann man sich ohnehin nicht.“

Karriereplanung ohne Scheuklappen

An der Bereitschaft zu Umwegen habe sich bei heutigen Berufsanfängern im Vergleich zu früher wenig geändert, glaubt Monika Schammas. Einmal im Semester stellt sie mit ihrem Kollegen Udo Lahm Studierenden der Uni Heidelberg das Berufsfeld PR vor. „Es sind immernoch dieselben Fragen, die bewegen. Ich habe sogar den Eindruck, dass heute eine noch größere Unsicherheit vorherrscht.“

Doch wer sich seiner Karriereplanung von vorneherein zu sicher ist, ist ebenfalls nicht davor gefeit, diese irgendwann in Zweifel zu ziehen. „Gerade die, die sehr ehrgeizig ihre Viten vorantreiben, hinterfragen oft an einem bestimmten Punkt ihre Karriere“, so die Beobachtung von Monika Schammas. „Oder sie driften sogar in den Burn­out, weil ihnen ihr ausschließliches Ziel den Blick nach links und rechts verbaut hat.“ Als Coach rät sie zur frühzeitigen Reflexion. Einen völlig anderen Blickwinkel einzunehmen könne Kraft geben, allerdings passe es nicht zu jeder Persönlichkeit.
„Ich höre im Coaching immer wieder, dass viele PR-Profis bedauern, ihr Leben lang kein Produkt zum Anfassen kreiert zu haben.“ Meist entstehe dieser Wunsch in der fortgeschrittenen Karriere, wenn der Blick sich zurück richtet. Ob Sabbatical, Ehrenamt oder die komplette Neuorientierung, die Lösung liege dann in der Person und ihrer Biografie.

Entwickeln statt ­ausbrechen

Jörg Moberg kehrte im März 2011 wieder nach Frankfurt zurück. Nachdem er erfahren hatte, dass seine Mutter in Deutschland erkrankt war, zog er gemeinsam mit seiner Familie einen Strich unter das Kapitel Schweden. Sie verkauften die Bäckerei, die heute als Produktionsstandort genutzt wird, und Moberg wurde Leiter des Frankfurter Büros der Agentur fischerAppelt. Vor einem Jahr wechselte er schließlich zurück zu seinem früheren Arbeitgeber Fidelity.

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Brot backen in Stockholm: Für Familie Moberg eine willkommene Abwechslung zum Alltag in Frankfurt. (c) Thinkstock

Der Zeit in Stockholm kann Moberg viel Gutes abgewinnen. „Ich habe mir eine absolute Gelassenheit und Entspanntheit angeeignet, dieses Feedback habe ich auch von früheren Kollegen bekommen.“ Sein Credo? „Es geht immer weiter. Man sollte sich nicht so viele Sorgen machen. Es wäre keine Katastrophe, wenn man den Job oder den Wohnort wechseln müsste.“ Auch seiner Zeit als Bäckereibesitzer möchte er im Nachhinein keinen Stempel aufdrücken. „Wir haben uns entschlossen, diese Zeit nicht als Umweg oder Ausbrechen zu verstehen, sondern einfach als Teil einer permanenten Entwicklung. Das passt nicht zu jedem, aber für uns hat das saugut geklappt.“ Bis zu fünfmal im Jahr verschlägt es die Mobergs dann doch wieder nach Skandinavien. Bereits Anfang Dezember wird die Familie in die alte Heimat Stockholm reisen.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Kommunikations-Controlling, Evaluation und Eigen-PR. Das Heft können Sie hier bestellen.

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