Entgrenzte Arbeitszeit: Zwischen Flexibilität und Überlastung

Die Arbeitszeit war stets umkämpft: Unternehmen zielen seit jeher darauf, die Arbeitskraft ihrer Angestellten umfassend zu nutzen, und bevorzugen daher lange Arbeitszeiten. Heute verzichten viele auf deren Festlegung und versprechen sich davon, dass Beschäftigte nicht weniger, sondern mehr leisten, weil sie intensiver arbeiten und zu Zeiten, in denen sie hochproduktiv sind. Für Beschäftigte ist hingegen schon immer der Schutz ihres Arbeitsvermögens existenziell – Arbeitsunfähigkeit bedeutet schließlich nicht nur den sozialen Abstieg, sondern zumeist auch soziale Isolation.

Der Streit um die Arbeitszeit markiert also einen alten Grundkonflikt zwischen den Tarifpartnern. Manchen mag diese Auseinandersetzung als überholt erscheinen; sie betrifft jedoch im Kern die Frage, wie wir das (Zusammen-)Leben in der Gesellschaft gestalten: Wie viel und welche Zeit ist für Erwerbsarbeit vorgesehen? Und welche ist für Erholung, Familie oder Freundschaften reserviert? Die Forschung belegt: Je größer die Sorge der Menschen vor Jobverlust oder beruflichem Abstieg ist, desto eher stellen sie reproduktive Bedürfnisse zurück. Sie gehen krank zur Arbeit, leisten (oft unbezahlte) Mehrarbeit und schieben sogar den Kinderwunsch auf.

Wenn Arbeitskraft aber in Folge von demographischem Wandel und der Verbreitung von Erschöpfung knapp wird, muss diese Entwicklung innehalten lassen. Unternehmen sind auf dauerhaft leistungsfähige Beschäftigte angewiesen und profitieren davon, der Arbeitszeit Grenzen zu setzen. Das muss nicht heißen, dass diese nicht flexibel über den Tag oder das Jahr verteilt sein kann. Die Frage jedoch, inwieweit solche Modelle eine nachhaltige Nutzung von Arbeitskraft befördern, ist (auch aus betriebs- und volkswirtschaftlichen Gründen) sorgfältig zu prüfen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Randgruppen-PR. Das Heft können Sie hier bestellen.

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