„Wir setzen auf Langlebigkeit“

Nachhaltigkeit

„Vaude“ verfolgt ehrgeizige Klimaziele und ist seit Januar 2022 weltweit mit allen Produkten klimaneutral. Zur Finanzierung wird unter anderem im Marketing massiv eingespart: Ihr Budget ist um eine halbe Million Euro reduziert worden. Sieht Ihr Job heute anders aus als noch vor einem Jahr?

Meindl: Nicht so sehr, wie man erwarten könnte. Der Media- und Marketingmix hat sich etwas verändert, ja. Aber wir haben vor allem kritisch reflektiert, was wir wirklich brauchen und zum Beispiel rund um Leitmessen eingespart. Auch vorher sind wir dort allerdings nicht in die Millionenschlachten gezogen mit überdimensionierten Ständen, die danach im Müll landen. Mit dem Geld, das wir aus dem Marketing abgezogen haben, kompensieren wir, was wir an Treibhausgasen im Moment nicht weiter drosseln können. Wir sind damit der Definition nach klimaneutral – für unseren Firmenstandort in Tettnang gilt das übrigens bereits seit 2012. Als produzierendes Unternehmen stoßen wir allerdings weiter Treibhausgase aus. Wir tun alles dafür, diese weiter zu reduzieren.

Sie sind vom Magazin „One to One“ jüngst zum Marketingkopf des Jahres gekürt worden, unter anderem aufgrund Ihrer konsequenten Haltung zum Thema Nachhaltigkeit. Anders als andere Unternehmen bezieht „Vaude“ zu politischen Themen Stellung. Weshalb?

Meindl: Grundsätzlich äußern wir uns nur zu Themen, die uns als Unternehmen betreffen, oder wenn wir Einfluss nehmen können. Die Themen, zu denen wir kommunizieren, entsprechen unserer persönlichen Überzeugung bei „Vaude“ – es stand also keine strategische Überlegung an erster Stelle, was da draußen wohl am besten zieht. Wir tragen nach außen, was unsere Werte widerspiegelt und was wir sowieso nach innen hin leben. Über die Zeit haben sich für unsere Kommunikation fünf Kerngebiete herauskristallisiert, darunter zum Beispiel Klima- und Umweltschutz, Diversität und Asylpolitik. Bisher haben wir damit gute Erfahrungen gemacht. Wir erhalten viel positives Feedback von Kund*innen und Geschäftspartner*innen, aber auch aus Wirtschaft und Politik.

Viele Verbraucher*innen blicken im Dschungel aus Zertifizierungen nicht mehr durch – oder halten Nachhaltigkeitsversprechen für einen Marketingtrick. Nicht ohne Grund: Die gemeinnützige Stiftung „MyClimate“ etwa ist in die Kritik geraten. Auch „Vaude“ setzt auf solche Zertifizierungen.

Meindl: Man muss bei der Debatte um „MyClimate“ unterscheiden: Zwischen der Klimabilanz, die mit langjähriger Kompetenz nach dem Greenhouse Gas Protocol berechnet und erstellt wird und mit enorm viel Aufwand verbunden ist, und einfachen Kompensationsrechnern auf der Website. Letztere sollen Unternehmen vor allem zur ersten Orientierung dienen, wenn sie damit anfangen, sich mit Klimaschutz und Kompensation zu befassen. Man vertraut darauf, dass Unternehmen ihre Daten dort korrekt eingeben. Bei einer umfassenden Klimabilanzierung, wie wir sie regelmäßig durchführen lassen, werden die Daten von erfahrenen Experten genau analysiert und streng kontrolliert. Wir können uns darauf verlassen, dass unsere Angaben Hand und Fuß haben.

Aber ja, es ist für Verbraucher*innen schwierig, sich einen Überblick zu verschaffen. Deshalb ist es uns wichtig, alle Informationen komplett transparent zu machen – auch über verschiedene Siegel wie unser hauseigenes Green Shape. Das entspricht unserer Überzeugung, aber auch dem wachsenden Bedürfnis der Konsument*innen, die zunehmend kritisch hinterfragen und Unternehmen auf den Zahn fühlen.

Woran merken Sie das?

Meindl: Zum Beispiel über unsere Verkaufsschulungen für unseren Fachhandel und unseren Kundenservice. Es gibt zwei Typen Konsument*innen: Die, die sich sowieso nicht interessieren, kaufen und glücklich sind. Und dann die anderen, die in der Minderheit sind, aber Belege wollen und im Zweifel auch den Startpunkt für einen Shitstorm sind, der dein Image ruiniert. Wir erhalten von unseren Kund*innen viel positives Feedback, aber durchaus auch Kritik. Zum Beispiel dafür, dass wir als nachhaltiges Unternehmen in Asien produzieren. Wir engagieren uns gemeinsam mit der unabhängigen Organisation „Fear Wear“ für höhere Sozialstandards und bessere Löhne, überwachen die Produktion vor Ort, haben eine anonyme Beschwerdestelle eingerichtet haben, die übrigens auch genutzt wird und vieles mehr – aber klar, es gibt es definitiv noch Bereiche, in denen wir besser werden müssen. Wo genau, kommunizieren wir in unserem Nachhaltigkeitsbericht. Diese Transparenz muss man als Unternehmen heute unbedingt gewährleisten, wenn man die größer werdende kritische Konsumentenschicht zufrieden stellen will.

Ivon Chouinard, Gründer des kalifornischen Unternehmens „Patagonia“, hat kürzlich einen Marketingcoup gelandet, als er im Kampf gegen die Klimakrise sämtliche Unternehmensanteile an eine gemeinnützige Stiftung überschrieben hat. Er rät seinen Kund*innen seit Jahren, seine Produkte am besten gar nicht zu kaufen, sondern auf Konsum zu verzichten. Auch „Vaude“ bietet Repair Cafés an und vermietet Outdoor- und Campingausrüstung, setzt aber dennoch auf Wachstum. Wie passt das zusammen?

Meindl: Nachhaltigkeit ist ein Dreiklang aus ökonomischen, sozialen und Umweltzielen. Der Markt, in dem wir agieren, wächst extrem schnell und zentralisiert sich hin zu großen Playern. Würden wir nicht auf Wachstum setzen, wären wir ganz schnell raus. „Patagonia“ ist um ein Vielfaches größer als „Vaude“ – ab einem gewissen Level kann man sich diesen Luxus dann besser leisten. Wir brauchen unser Wachstum momentan noch, um nachhaltig agieren zu können. Gleichzeitig setzen wir aber auch auf ressourcenentkoppeltes Wachstum, das wir zunehmend über Dienstleistungen wie zum Beispiel unsere Mietservice „VAUDE Rent“ erreichen möchten. Und natürlich wollen wir den Markt auch nicht mit unseren Produkten fluten. Wir setzen auf Langlebigkeit, bieten Repair Cafés und Reparatur-Anleitungen an. Allerdings wird dieser Service noch nicht von der breiten Masse angenommen.

Sie haben 2013 festgestellt, dass Ihre Seiten im Bereich „Verantwortung“ kaum abgerufen werden. Seitdem informieren Sie dazu direkt auf Ihren Produktseiten. Interessieren sich Ihre Kund*innen für diese Informationen?

Meindl: Im Sport- und Outdoorbereich kauft man sich in erster Linie ein Produkt, das funktional ist. Eine Regenjacke muss wasserdicht sein, im persönlichen Budget liegen und gefallen. Erst dann kommt Nachhaltigkeit ins Spiel, wenn überhaupt. Die Infos dafür brauchen Konsument*innen so kompakt und verständlich wie möglich. Am besten direkt beim Produkt, das sie kaufen möchten. Keiner macht sich in diesem Moment mal kurz nebenher unseren Nachhaltigkeitsbericht auf – davon abgesehen, dass die Infos dort nicht passend für potenzielle Käufer*innen aufbereitet sind. Und ja, wir nehmen schon wahr, dass gerade unsere Kund*innen sich für das Thema interessieren. Jemand, der gern draußen in der Natur ist, will keine Jacke tragen, die der Umwelt schadet.

Gibt es in Sachen Nachhaltigkeit Erwartungen Ihrer Mitarbeiter*innen, die der Gesamtstrategie von Vaude entgegenstehen?

Meindl: Zu uns kommen Menschen, die unsere Werte teilen und gemeinsam mit uns nachhaltige Lösungen für Mensch und Natur gestalten möchten. Unsere strategischen Nachhaltigkeitsziele sind in alle Bereiche bis zu jeder einzelnen Stelle heruntergebrochen und für jeden Mitarbeitenden im Arbeitsalltag greifbar. Wir versuchen alle, in unserem unmittelbaren Umfeld Hebel zu finden, um nachhaltiger zu arbeiten. Zum Beispiel, indem wir den Verpackungsmüll unserer Messestände wiederverwenden – oder eben, indem wir Marketingbudget einsparen.

 

Manfred Meindl ist Speaker auf der MOVE-Konferenz für Nachhaltigkeitskommunikation, die vom 7. bis 9. November in Berlin stattfindet.

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