Das Ohr in der Produktion

Mitarbeiterkommunikation

Die deutsche Wirtschaft, allen voran die Industrie, leidet unter der anhaltend schwachen Konjunktur. Die Prognosen sehen auch für das Jahr 2025 schlecht aus. Konzerne wie BASF, Thyssenkrupp, Volkswagen oder Bosch haben teils massiven Stellenabbau angekündigt. Auch im Mittelstand werden Strategien angepasst und Organisationen umstrukturiert. An Negativmeldungen in Wirtschaftsmedien mangelt es nicht.

Derartige negative Veränderungen zu kommunizieren, gehört zu den größten Herausforderungen in der internen Kommunikation. Insbesondere wenn die betroffenen Personen in den Fabriken und Werkshallen arbeiten. Im Vergleich zu ihren Kollegen im Büro sind sie weniger in den Kommunikationsfluss im Unternehmen eingebunden. Einerseits weil ihnen der Zugang zu den digitalen Kanälen wie E-Mail oder Intranet fehlt oder weil beides nicht in den täglichen Workflow eingebettet ist. Andererseits weil im durchgetakteten und oft von Schichtdienst geprägten Arbeitsalltag nur wenig Zeit bleibt, um sich mit den häufig textlastigen Inhalten aus der Unternehmenskommunikation zu beschäftigen. Das Arbeiten an Maschinen, die durchgängig laufen, unterscheidet sich dann doch von Büroarbeit. Wie lassen sich Veränderungen in dieser Zielgruppe kommunizieren?

Tanja Lingk begleitet seit vier Jahren Veränderungsprozesse bei dem Technologiekonzern Heraeus im hessischen Hanau. Das 1660 gegründete Familienunternehmen beschäftigt mehr als 16.400 Mitarbeitende an gut 100 Standorten weltweit. Die Senior-Managerin für interne Kommunikation, die selbst bei einem früheren Arbeitgeber schon einmal von einem Stellenabbau betroffen gewesen ist, kennt die Sorgen und Ängste der Menschen in unruhigen Zeiten.

Wie ist der Zeitplan? Bleibt mein Vorgesetzter? Was passiert mit meinem Vertrag und möglichen betrieblichen Rentenansprüchen? „Wenn ich eine Veränderung kommuniziere, stelle ich mir immer die Frage: Was würde ich als betroffene Mitarbeiterin wissen wollen?“, sagt Lingk, die sich selbst als „Sprachrohr der Mitarbeitenden“ sieht. Sie versucht dann, möglichst umfassend Antworten und Informationen zu liefern. Wie im Jahr 2022 bei der Trennung von der Geschäftssparte Nexensos.

Damals verkaufte Heraeus seine Sensor-Sparte mit rund 480 Mitarbeitenden an den taiwanesischen Konzern Yageo. Lingks Team war frühzeitig in die Entscheidung eingebunden. Zunächst wurden die Führungskräfte umfassend gebrieft, dann folgten Townhalls und Gespräche mit Mitarbeitenden direkt in der Produktion. Erst danach wurden Informationen intern und später extern veröffentlicht.

Lingk zeigt sich zufrieden. Die Mitarbeitenden hätten sich gut informiert gefühlt; die Trennung verlief weitgehend geräuschlos. Das liegt sicher auch daran, dass von einem Stellenabbau damals keine Rede war (der „FAZ“ zufolge gibt es vom neuen Eigentümer inzwischen Pläne, mehr als 150 Arbeitsplätze nach Asien zu verlagern). Vielmehr wirkte offenbar das Narrativ, dass das Geschäftsfeld sich bei einem weltweit führenden Spezialisten besser entwickeln könne, als es in Hanau möglich wäre. Um diese Erzählung zu untermauern, schilderte ein eigens angereistes Vorstandsmitglied des Yageo-Konzerns den Beschäftigten persönlich die neue Unternehmensvision.

Unverzerrte Botschaften

Einer Studie der RWTH Aachen aus dem vergangenen Jahr zufolge sind den Mitarbeitenden in der Produktion eine gute Kommunikation (91 Prozent) und Wertschätzung (90 Prozent) genauso wichtig wie eine gute Bezahlung (92 Prozent). Gute Kommunikation heißt im Change-Fall: transparent sein, empathisch, verlässlich.

Letzteres allerdings ist im Werk zugleich ein Knackpunkt. Denn vieles läuft dort über persönliche Gespräche. Und dieser Kanal ist – Stichwort „Stille Post“ – anfällig für Fehler und auch Gerüchte: Mit welcher Botschaft, welchem Gefühl der Werksarbeiter nach Schichtende nach Hause geht, hängt in großem Maß von seiner Führungskraft, deren Vorgesetzten und der Geschäftsleitung ab, also davon, wie verschiedene Menschen die Botschaft jeweils verstanden haben und ob und inwieweit sie diese mittragen.

Das Problem haben E-Mail, Mitarbeiterzeitung oder Intranet nicht. Bei den schriftlichen Kommunikationskanälen wird die Botschaft direkt aus dem Unternehmens-Tower abgesetzt. Eine einmal veröffentlichte Information lässt sich jederzeit und unverzerrt nachlesen. In vielen Produktionsunternehmen kommen Flyer, Plakate und auch das Schwarze Brett zum Einsatz. Digitale Medien, beispielsweise Infoterminals, haben den Vorteil, dass sie aktueller sind.


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Immer mehr Unternehmen setzen eine Mitarbeiter-App ein. Auch Heraeus hat eine App eingeführt und dafür die Mitarbeiterzeitung aufgegeben – für die Belegschaft offenbar kein Verlust, fragt man Tanja Lingk oder Sebastian Hoff. Letzterer hat die App 2019 damals noch als Mitarbeiter im Heraeus-Konzern eingeführt und auf den Chemnitzer Anbieter Staffbase vertraut – seinen heutigen Arbeitgeber. Seit 2021 betreut er dort als strategischer Berater Kunden.

Hoff sagt, dass nicht wenige Konzerne eine App sogar eigens als „Change-Kommunikationstool“ einkaufen würden. Die Vorteile liegen auf der Hand: Non-Desk-Worker erhalten Zugang zu den digitalen Inhalten der Unternehmenskommunikation. Die App ermöglicht Feedbackprozesse, die sich in der Fertigung nur mit einigem Aufwand umsetzen lassen, etwa Umfragen. Die Kommentare unter den Beiträgen in der App stoßen bestenfalls eine Diskussionskultur an, die die oft geforderte Transparenz ermöglicht. Wer die App auf dem privaten Handy nutzt, setzt sich potenziell auch nach Feierabend mit den Unternehmensinhalten auseinander.

Services wie die Einsicht in den Speiseplan in der Kantine oder das Hochladen von Krankmeldungen und Urlaubsanträgen bieten einen weiteren Mehrwert. Zudem lassen sich Artikel in der App unkompliziert übersetzen – eine Hilfe gerade für die Menschen in der Produktion, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Bei Heraeus wird die App nach eigenen Angaben sogar mitunter als Chat-Kommunikationsmittel in einigen weitläufigen Bereichen der Fertigung genutzt. 12.000 Mitarbeitende sind in der App registriert, davon nutzen 90 Prozent die App wenigstens einmal im Monat.

Persönliche Kommunikation unverzichtbar

Die App an die Mitarbeiter in der Produktion zu bringen, war zunächst nicht einfach, erinnert sich Hoff: „Ich bin damals blauäugig in eine Produktionshalle gegangen und wollte die Leute für die App begeistern. Keiner hat sich gemeldet.“ Einige lehnten eine App grundsätzlich ab. Andere wollten die App nicht auf ihr privates Handy laden. Erst als die Produktion an einem Standort stillstand, weil ein Bombenfund aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft werden musste, setzte sich die App durch – via Push-Mitteilungen wurden die Leute auf dem Laufenden gehalten, und zwar zuverlässiger und schneller, als es mit Telefonketten oder Whatsapp-Gruppen zuvor möglich gewesen war.

Dennoch: Persönliche Kommunikation ist im Change-Prozess unverzichtbar. Andrea Montua, Inhaberin von MontuaPartner Communications, verweist darauf, dass Veränderungen untrennbar mit Emotionen verbunden sind. Die ließen sich in einer schriftlichen Kommunikation nur schwer vermitteln, Missverständnisse seien unvermeidbar. Ganz abgesehen davon, dass gerade in Krisenfällen schriftliche Kommunikation immer das Risiko berge, schnell als Screenshot an Medien ausgespielt zu werden.

Es gilt, Führungskräfte gut vorzubereiten, zum Beispiel in Workshops und Dialogformaten. Gallup-Studien zufolge engagieren sich Menschen mehr, wenn sie sich von ihrem Arbeitgeber gesehen und gehört fühlen. Engagierte Führungskräfte färben auf ihre Mitarbeitenden ab. Und besonders gut: Emotional gebundene Angestellte packen in schwierigen Zeiten eher mit an, um die Krise zu überstehen. Bei Heraeus, wo betont viel Wert auf offenen Austausch gelegt wird, wurden vor Bekanntgabe der Transaktion das mittlere Management und Schichtleiter persönlich informiert. Sie erhielten Fragen- und Antworten-Kataloge, die von Kommunikation und Human Resources gemeinsam erarbeitet wurden.

Eine besondere Rolle kommt der Geschäftsführung zu. „Es braucht eine Person, die sichtbar den Veränderungsprozess führt und für ihn einsteht“, sagt Montua, „ganz nach Vorbild eines bekannten Unternehmers, der vor Jahren in TV-Spots für Babynahrung mit den Worten warb: Dafür stehe ich mit meinem Namen.“ Gerade für die Mitarbeiter im Werk hat der Unternehmenschef ein besonderes Identifikationspotenzial. Es ist also nicht nur die direkte Hierarchie, die bei der Kommunikation von Veränderungen entscheidend ist, sondern auch die Querverbindung.

Lebensrealitäten berücksichtigen

Viele Kommunikationsabteilungen verfolgen das Prinzip Gießkanne – dabei macht es augenscheinlich einen Unterschied, ob jemand in einem Büro oder auf einer Produktionsstraße arbeitet. Doch gerade die Lebensrealitäten derjenigen zu berücksichtigen, die weniger an die Unternehmenszentrale angedockt sind, werde in Veränderungsprozessen oft unterschätzt oder gar vergessen, sagt Beraterin Montua. Es ist zum Beispiel wenig sinnvoll, mit Trompeten und Posaunen eine neue Strategie vor den Werkskolleg*innen verkünden zu wollen, wenn diese wegen eines hohen Krankenstands in der Belegschaft gerade nicht wissen, wo ihnen der Kopf steht. Wenig hilfreich ist auch, die neue Strategie in eine Sprache zu verpacken, die in der Fertigung niemand versteht.

Herrenknecht, ein badischer Hersteller von Tunnelbohrmaschinen, rüstet sich derzeit für die Zukunft. Das Change-Projekt begleitet Anja Heckendorf, seit April 2023 Kommunikationsleiterin des Unternehmens mit Sitz in Schwanau-Allmannsweier. Konkret geht es unter anderen um die Frage, wie das Unternehmen als Arbeitgeber attraktiv bleiben kann. Es sei klar, bemerkt Heckendorf, dass man mit dem Thema Homeoffice im Werk nicht anzukommen braucht. Aber auch dort spiele das Thema New Work zunehmend eine Rolle: Menschen wünschten sich flexiblere Arbeitszeiten, ein agiles Arbeitsumfeld und kontinuierliche Weiterbildung. „Wir versuchen immer, in die Organisation hineinzuhören und nachzufragen, was die Kollegen brauchen“, erklärt Heckendorf den Ansatz der internen Kommunikation des Familienunternehmens, das weltweit rund 5.000 Menschen an mehr als 60 Standorten beschäftigt.

Neben Plakaten und Flyern setzte die Kommunikation eine kleine Messe mit verschiedenen Ständen ein, wo die Produktionsmitarbeitenden sich informieren und Vorschläge einbringen konnten. Im Werk wurden aber auch QR-Codes aufgehängt, die zu einer Umfrage in der neuen Mitarbeiter-App führten. „Gerade bei dieser Zielgruppe halte ich einen bunten Strauß an Maßnahmen für überaus relevant“, sagt Heckendorf. Zudem müssten Botschaften möglichst oft wiederholt werden.

Bei den Formaten achtet Heckendorf auf die Bedürfnisse der Zielgruppe. Lange Reportagen in der jährlich erscheinenden Mitarbeiterzeitung würden nicht gelesen. Kürzere und regelmäßige Einblicke in den Arbeitsalltag der Menschen über die App kämen besser an. Sie findet es wichtig, in der Kommunikation Gesichter aus dem Werk zu zeigen. „Man merkt immer, dass sich die Kollegen aufrichtig freuen, wenn ihre Arbeit im Fokus steht. Das erfüllt sie richtig mit Stolz“, sagt die Kommunikatorin.

Ähnlich in Hanau: Dort haben sie das Format „Sechs Fragen an“ entwickelt, in dem regelmäßig Kolleginnen und Kollegen vorgestellt und strategische Fragen eingestreut werden, nach dem Motto: Wie geht ihr mit dem um, was gerade bei euch im Bereich passiert? „Über Geschichten aus der eigenen Peergroup freuen sich die Leute am meisten“, beobachtet Tanja Lingk und unterstreicht: „Strategische Botschaften darf man nicht auf einer abstrakten Flughöhe versenden.“ Für sie ist Verständlichkeit ein wichtiger Faktor. Artikel sollten immer so formuliert sein, dass sie ohne Vorwissen zu verstehen sind: „Wir sagen immer: Würde das auch meine Mutter verstehen?“

Was tatsächlich relevant ist, wissen oft die Standorte selbst am besten. Beide Firmen haben feste Ansprechpartner vor Ort, die ihnen Themen, Ansprech- und Interviewpartner oder gleich fertige Inhalte vermitteln. Dies und der Mix aus persönlichen Gesprächen, digitalen Tools und transparenter Führung helfen, dass auch in der Produktion Veränderung mitgetragen und Widerstände abgebaut werden. „Die Kommunikation hat zwar keinen Einfluss auf die strategische Entscheidung“, sagt Tanja Lingk, „aber wir können den Menschen Orientierung geben.“

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Strategie. Das Heft können Sie hier bestellen.

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