Balanceakt auf dem Drahtseil

Investor Relations

Echte Fußballfans wissen: Die spannendste Phase im Jahr ist nicht das Saisonfinale, sondern das Transferfenster zwischen zwei Saisons, in der Teams ihren Kader umbauen und den ein oder anderen Spieler verkaufen oder verpflichten. Es ist der Zauber, den schon der Schriftsteller Hermann Hesse in jedem Anfang sah. Dass der neu geholte Superstar am Ende vielleicht genauso schlecht performt wie sein Vorgänger, das weiß in diesen Sommermonaten noch niemand. Der Traum von Meisterschaft, Europapokal oder Aufstieg lebt.

Die Wirtschaftswelt ist da nicht anders. Geschäftszahlen, Investitionen, Innovationen – alles schön und gut, aber richtig spannend sind auch hier Transaktionen. Eine Firma kauft die andere. Zwei Unternehmen fusionieren. Das langjährige Familienunternehmen geht an die Börse. Da schlägt allenthalben das Herz höher – nicht zuletzt bei Journalisten. Man schaue sich nur die gehetzte Berichterstattung zur angeblich geplanten Übernahme der Commerzbank durch die Unicredit an. Fast jede Wortmeldung wird direkt verbreitet und auf ihre tiefere Bedeutung abgeklopft. Im Commerzbank-Hauptsitz in Frankfurt müssen sie sich dieser Tage vorkommen wie ein Bundesligamanager, dem Beobachter zu entlocken versuchen, wann denn nun die Neuzugänge verkündet werden.

Kommunikativ sind solche Unternehmenstransaktionen eine große Herausforderung. Mitarbeiter, Kunden und gegebenenfalls Aktionäre müssen abgeholt, informiert oder beruhigt werden, und das alles, ohne den Deal durch vorschnelle Verkündung zu gefährden. Es ist ein hochsensibler Drahtseilakt zwischen Diskretion und Transparenz, bei dem ein Fehler den Deal zum Scheitern bringen kann. Welche Rolle spielt in solch heiklen Situationen eine Kommunikationsstrategie? Inwieweit gibt es einen Fahrplan? Oder heißt es am Ende doch eher zu improvisieren?

Plattformanbieter

Diese Frage stellte man sich auch beim Mittelständler Techem. Die in Eschborn bei Frankfurt am Main beheimatete Firma dürfte den meisten als Ablesedienstleister für ihre Heizung und ihren Wasserverbrauch bekannt sein. Darüber hinaus hilft das Unternehmen aber auch Immobilienfirmen bei der energieeffizienten Bewirtschaftung von Gebäuden.

Im Sommer 2023 deutete sich an, dass der bisherige Eigentümer Partners Group seine Anteile an der Firma zu Geld machen wollte – entweder per Börsengang oder per Verkauf.  „Für uns begann in diesem Moment die Arbeit“, sagt Katharina Bathe-Metzler. Sie ist Kommunikationschefin bei Techem und hat gemeinsam mit ihrer Kollegin Janina Schmidt, Head of Corporate Communications, den Deal begleitet. Für Techem war es nicht der erste Deal dieser Art. Bereits 2018 hatte die Partners Group die Anteile vom australischen Investor Macquarie übernommen, der sich wiederum 2008 in Eschborn eingekauft und die Firma von der Börse genommen hatte.

Dieses Mal war aber etwas anders. Denn parallel wollte sich Techem auch ein neues Image geben. Weg vom Ablesedienst, hin zu einem digitalen Plattformanbieter. Und im Gegensatz zu früheren Deals war nicht klar, was das Endergebnis sein würde, Verkauf oder Börsengang. „Wir mussten also mehrgleisig planen, mit verschiedenen Zeitabläufen“, erklärt Bathe-Metzler.

Die frühzeitige Einbindung der Kommunikatoren ist essenziell für den Erfolg einer M&A-Kommunikation, wie auch Kai Gregor Klinger, Managing Partner bei der Strategiekommunikationsagentur Rosenberg bestätigt.

Klinger und seine Kollegen beraten immer wieder Unternehmen bei Fusionen und Übernahmen. Regel: Möglichst lange nur einen kleinen Kreis einbinden, um Verschwiegenheit zu gewährleisten. „Die Schutzwälle sollten während der Sondierungsgespräche auf jeden Fall oben bleiben“, sagt Klinger. Ansonsten drohen negative Effekte. Der Deal könnte sogar kippen, wenn die Vertraulichkeit nicht gewährleistet ist. Klar ist aber: Je konkreter der Deal wird, desto lauter wird das Gemurmel. Die Gerüchteküche brodelt. „Spätestens, wenn die Due Diligence beginnt, gehen die Gerüchte los“, sagt Klinger. In dieser Phase, in der der potenzielle Käufer das mögliche Übernahmeobjekt prüft, ist es wichtig, die Hauptaussagen in der Kommunikation anzupassen. So lange wie möglich sollten Unternehmen Gerüchte dementieren. Wenn aber klar ist, dass ein Abschluss konkret wird, dann sollten selektiv Medien eingebunden werden, rät Klinger.


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Das alles muss vertraulich geschehen. Bei Techem begann der Wechsel, als klar war, dass es statt um einen Börsengang um einen Verkauf ging und die Beteiligungsgesellschaften TPG und der singapurische Staatsfonds GIC als heiße Kandidaten galten.

„Da haben wir begonnen, mit den relevanten Journalisten vertrauliche Hintergrundgespräche zu führen“, berichtet Katharina Bathe-Metzler. Zwar ging es nicht direkt darum, Informationen zum Deal in die Öffentlichkeit zu tragen. Stattdessen versuchte Techem auf diese Weise, die Informationshoheit zu behalten. Denn tatsächlich gab es während des Prozesses immer wieder Leaks, Informationen wurden nach außen getragen. „Das war deutlich mehr als bei den vorherigen Verkäufen“, sagt die Kommunikationschefin. Wenn das Verhältnis zu den berichtenden Journalisten gut ist, könne man diese aber gegebenenfalls noch einfangen.

Woher genau Leaks kommen, ist oft schwer zu sagen. Kommunikationsberater Klinger sieht aber vor allem lange Transaktionen als Problem.

„Wenn sich so ein Prozess hinzieht, löst das Unsicherheit aus“, warnt er. Bis zu einem gewissen Punkt sei das auch normal. Selten würden solche Deals reibungslos ablaufen. Fast immer würden sie länger als erwartet dauern. Hinzu kommt eine erhöhte mediale Aufmerksamkeit. „Sonst reden die Kommunikationsabteilungen bei kleineren Firmen vor allem mit Fachmedien, bei Transaktionen kommen mit einem Mal auch ‚Handelsblatt‘ und ‚Börsenzeitung‘ dazu“, sagt Klinger.

Ein Effekt, den sie auch bei Techem beobachtet haben und sogar begrüßten. „Wir waren bis dahin vor allem in der Fachpresse präsent, da wollten wir uns sowieso breiter aufstellen“, sagt Katharina Bathe-Metzler. Der Verkauf an TPG war also auch eine Chance, die Präsenz in größeren Medien zu erhöhen und neben Infos zum Deal das neue Image von Techem nach außen zu tragen.

Wenn die Mitarbeiter unruhig werden

Unruhe erzeugen derart lange Verhandlungen vor allem in der Belegschaft. Natürlich kann ein neuer Eigner erhebliche Veränderungen bedeuten. Im Extremfall drohen Werkschließungen oder Stellenabbau. „Bei uns standen solche zwar nie zur Debatte“, sagt Bathe-Metzler: „Aber natürlich hatten die Mitarbeiter mehr und mehr Fragen, je länger es dauerte.“

Für die Kommunikatoren ist das eine Zwickmühle. Zu viel können sie nicht rauslassen. Aber Bathe-Metzler und ihr Team bemühten sich um so viel Transparenz wie möglich, schickten auch den CEO und andere Führungskräfte in den regelmäßigen Austausch mit den Mitarbeitern. Die ist auch notwendig, denn wenn Mitarbeiter vor einer unklaren Zukunft stehen, entscheiden sich viele lieber zu einem Unternehmenswechsel, als das Ganze auszusitzen und dann möglicherweise vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Ein regelrechter Braindrain kann die Folge sein.

Man könnte also meinen, dass Verschwiegenheit vor allem Probleme bereitet. Wäre es nicht einfacher, Medien und Mitarbeitern von vornherein genau zu erklären, was man vorhat? Berater Klinger warnt davor und kann auch erklären, warum Unternehmen nicht zu viel rauslassen sollten. „Auch während eines Verhandlungsprozesses kann sich vieles verändern, da limitiert man sich, wenn man schon zu viel preisgibt“, warnt er. Was aber immer helfe: „Wenn Sie die ökonomische Ratio erläutern, hilft das den Stakeholdern eher zu verstehen, was sie vorhaben.“

Bei Techem ziehen sie heute ein positives Fazit des Verkaufs, der bis Mitte 2025 komplett abgewickelt sein soll. Zum einen aufgrund des Deals selbst. 6,7 Milliarden Euro erlöste der Verkauf. Das werten sie als positives Signal für das eigene Unternehmen. Auch kommunikativ haben Bathe-Metzler und Schmidt ihre Ziele erreicht. „Wir haben interne Unruhe relativ gut vermieden und gleichzeitig unsere Medienreichweite deutlich erhöht“, sagt Bathe-Metzler.

Auch Techems neues Image als digitaler Plattformanbieter habe man platzieren können. Für Kunden dürfte das Unternehmen aber wohl noch etwas länger ein Ablesedienst bleiben.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Strategie. Das Heft können Sie hier bestellen.

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