Held und Antiheld?

CEO-Duell

Es ist der 9. November 2020, als es nach neun Monaten Coronakrise endlich Grund zur Hoffnung gibt. An diesem Tag verkündet Biontech die erfolgreiche Entwicklung des Impfstoffes BNT162b2, der einen mehr als 90-prozentigen Schutz vor dem Virus bieten soll. Bis zu 50 Millionen Dosen könnten schon bis Ende 2020 bereitgestellt werden, sagte der sichtlich erschöpfte Konzernchef Ugur Sahin in der „Tagesschau“. Die Welt jubelt.

Auch für Pascal Soriot, den Chef des britischen Pharmakonzerns Astra-Zeneca, hätte es anfangs kaum besser laufen können. Im April willigte Soriot ein, den von der Oxford-Universität entwickelten Impfstoff ohne Profite zu produzieren und zu vertreiben. Sonst würden seine Kinder ihn „killen“, sagte er später in einem Interview. Anders als die Konkurrenz von Biontech basiert das Vektor-Vakzin von Astra-Zeneca auf einer seit Jahrzehnten erprobten Technologie, die den Grippe-Impfstoffen ähnlich ist. Im Sommer 2020 verspricht die Trump-Regierung 1,2 Milliarden Dollar für 300 Millionen Impfdosen. Dann häuften sich die Rückschläge. Nach schweren Nebenwirkungen bei einem Probanden musste der Konzern die klinische Studie im September für mehrere Wochen unterbrechen. Tausende freiwillige Testteilnehmer erhielten versehentlich völlig unterschiedliche Dosen des Impfstoffs. Das Unternehmen verschwieg dies zunächst, stellte es dann als Absicht dar und später als Panne. Testdaten waren mal veraltet, mal unvollständig. Das Vertrauen erhielt erste Risse.

Das Image des Weltenretters hat Soriot inzwischen vollends verspielt. Die niederländische Politikerin Esther de Lange warf Soriot sogar vor, sich wie ein „unzuverlässiger Gebrauchtwagenhändler“ zu benehmen. Und in Frankreich hält nicht einmal jeder Vierte den Impfstoff von Astra-Zeneca für sicher. Die Menschen fürchten sich jetzt nicht nur vor dem Virus, sondern auch vor dem Gegenmittel.

Wie ist ihr Bild in der Öffentlichkeit?

Obwohl Sahin und Soriot beide aus der Wissenschaft stammen, könnte ihr Bild in der Öffentlichkeit unterschiedlicher kaum sein.

Der 62-jährige Soriot wuchs in den rauen Pariser Vororten auf. Er studierte zunächst Veterinärmedizin und schaffte später die Aufnahme an der renommierten Wirtschaftsuniversität HEC, einer der Kaderschmieden der französischen Industrie. Soriot arbeitete sich Schritt für Schritt nach oben, durchlief bei verschiedenen Pharmakonzernen Stationen in Asien, den USA und Australien. Er ist ein typischer Vertreter der französischen Technokratenklasse, der in Frankreich immer größeres Misstrauen entgegenweht.

Als er im Herbst 2012 Vorstandschef von Astra-Zeneca wird, übernimmt er einen Konzern in Schieflage. Der Aktienkurs kommt nicht aus dem Keller. Es drohte der Verlust wichtiger Patente. Soriot entließ Tausende Mitarbeiter und krempelte Kultur und Außenwahrnehmung des Unternehmens Schritt für Schritt um. Heute ist Astra-Zeneca der zweitgrößte Konzern Großbritanniens. „Soriot geht die Impfstoffkampagne an wie all seine Projekte – ohne Selbstzweifel“, schrieb der „Spiegel“ in einer ausführlich recherchierten Hintergrundgeschichte mit dem bezeichnenden Titel „Astra-Zeneca – Chronik eines Desasters“.

Ugur Sahin kam im Alter von vier Jahren nach Köln, wo sein Vater Arbeit bei den Ford-Werken fand. Obwohl er sich bereits als Kind für Naturwissenschaften interessierte, wurde ihm die Empfehlung fürs Gymnasium zunächst verwehrt. Nur weil ein Nachbar interveniert, kommt er schließlich trotzdem aufs Gymnasium. Er besteht das Abitur als Jahrgangsbester und erstes türkisches Gastarbeiterkind seiner Schule. Auch seine Promotion in Medizin schafft Sahin mit summa cum laude. Später studiert er noch Mathematik an der Fernuni Hagen.

Gemeinsam mit seiner Frau Özlem Türeci entwickelt er damals die Idee für völlig neuartige Medikamente, die das Immunsystem für den Abwehrkampf aufrüsten. Die beiden arbeiten wie besessen. Selbst am Tag ihrer Hochzeit kehren sie am Nachmittag zurück ins Labor. Im Oktober 2019, nur wenige Wochen vor dem Beginn der Coronakrise, geht ihr Unternehmen Biontech in New York an die Börse. Sahin zählt inzwischen zu den erfolgreichsten deutschen Gründern. Das Magazin „Forbes“ schätzt sein Vermögen auf 8,7 Milliarden Dollar. Trotzdem gilt er als bescheiden, fährt mit dem Fahrrad ins Büro und gibt Video-Interviews aus dem Wohnzimmer.

Wer hat die bessere Medienpräsenz?

Über 6.000 Presseerwähnungen verzeichnet Sahin in den vergangenen zwölf Monaten allein in der deutschen Presse. Hinzu kommen noch einmal über 50.000 deutschsprachige Social-Media-Beiträge. Damit lässt Sahin selbst Volkswagen-Chef Herbert Diess weit hinter sich. Nach der Bekanntgabe des Impfstofferfolges gingen laut „FAZ“ bis zu 100 Presseanfragen bei Biontech ein – pro Stunde.

Soriot verzeichnet immerhin rund 1.200 Presseerwähnungen und rund 7.000 deutschsprachige Social-Media-Beiträge. Doch anders als bei seinem Konkurrenten überwiegt bei Soriot die negative Tonalität. „Astra-Zeneca ist besser als sein Ruf“, sagte der Virologe Christian Drosten in seinem Podcast beim Norddeutschen Rundfunk, vielleicht ohne zu wissen, dass in der öffentlichen Wahrnehmung diejenigen am schwächsten dastehen, die von fremden Menschen in Schutz genommen werden müssen.

Wie treten sie auf?

Auf Pressefotos und in den Nachrichten sieht man Soriot fast immer im dunklen Anzug, meist auch mit Krawatte. Als er während der Corona-Zeit dann plötzlich ein Fernsehinterview im kurzärmeligen Karohemd vor dem heimischen Bücherregal gab, wirkte das sonderbar fremd, als habe er sich verkleidet. Soriot wirkt bei seinen Auftritten wie ein Verwalter. Sahin trägt meist Anzug, Poloshirt oder einen weißen Laborkittel.

Seit Weihnachten sitzt Soriot in Australien fest, wo seine Kinder und Enkelkinder wohnen. Bei seinen Interviews wirkt er oft überfordert und müde, nicht nur wegen der Zeitumstellung. Es fällt ihm oft schwer, die richtigen Worte zu finden.

Wer berät sie?

Mitten in der Krise kündigte Rich Buckley, bei Astra-Zeneca verantwortlich für das weltweite Ansehen, an, das Unternehmen nach 16 Jahren zu verlassen. Einen Zusammenhang mit dem Impfchaos gebe es nicht, sagte Buckley. Unbestritten ist, dass Astra-Zenecas misslungene Kommunikation die Hauptschuld daran trägt, dass aus einer positiven Geschichte ein Kommunikationsdesaster wurde. Die Konkurrenz von Biontech bietet mehrsprachiges Informationsmaterial und Videotrainings für die Mitarbeiter der Impfkampagnen. Astra-Zeneca ließ Patienten und Mediziner mit ihren Fragen allein und lieferte nicht selten widersprüchliche Antworten.

Die öffentlichen Erklärungen klangen stets so, als richteten sie sich eigentlich an ein Fachpublikum. Gerade weil die Impfstoffe im Eiltempo entwickelt wurden, wäre Astra-Zeneca gut beraten gewesen, den Menschen verständlich zu vermitteln, dass ihr Vakzin trotzdem sicher ist.

Biontech wird in seiner Öffentlichkeitsarbeit von der Kommunikationsberatung Finsbury Glover Hering unterstützt. Auch Kommunikationschefin Jasmina Alatovic war vor ihrem Wechsel zu Biontech im Jahr 2019 sieben Jahre bei dem Beratungsunternehmen tätig.

Hoch- und Tiefpunkte

Soriot erreichte seinen Tiefpunkt, als er verkünden musste, dass Astra-Zeneca seine vertraglich vereinbarten Lieferzusagen an die Europäische Union nicht einhalten konnte oder wollte. Sein größter Fehler war, dass er den Streit mit der Europäischen Union eskalieren ließ. Am Schluss bezeichnete der französische Präsident Emmanuel Macron den britischen Impfstoff gar als „quasi ineffektiv“ bei Geimpften über 65 Jahren.

Soriot selbst nannte die Anschuldigungen gegen seinen Impfstoff traumatisierend. Schuld seien „Menschen, die Dinge missverstanden“ hätten – die anderen also. Mitunter klingen seine Sätze verzweifelt. Seine Mitarbeiter hätten so hart gearbeitet, „sie waren müde, sie haben sich beeilt“, sagte er. Sätze, die man von einem Pharmakonzern nicht hören möchte. Die EU und viele andere Länder haben inzwischen aufgehört, bei Astra-Zeneca Impfdosen zu bestellen.

Fast völlig unter ging dabei die Nachricht, dass Astra-Zeneca im Dezember verkündete, den amerikanischen Wettbewerber Alexion zu übernehmen. Mit 39 Milliarden Dollar ist es die größte Übernahme in der Geschichte von Astra-Zeneca. Soriot dürfte seinen Wachstumszielen damit ein ganzes Stück nähergekommen sein. Trotzdem stimmten im Mai über 40 Prozent seiner Aktionäre gegen eine Gehaltserhöhung für ihn – eine deutliche Ohrfeige.

Nach einem Jahr voller Höhepunkte muss man länger suchen, um auch bei Sahin einen Tiefpunkt zu finden. Vielleicht war es die kleine Delle im Februar, als die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete, dass Sahin seinen Impfstoff zunächst für 54,08 Euro pro Dosis an die Europäische Union verkaufen wollte, rund 20 Mal teurer als das Produkt der britischen Konkurrenz. Doch das nahm ihm da schon lange niemand mehr übel.

Sieger im CEO-Duell …

… ist ganz klar Ugur Sahin. Corona hat ihn zum internationalen Helden gemacht. Er ist ein Gastarbeiterkind, das zum Weltretter wurde. Auch Soriot und sein Konzern leisteten Beachtliches. Doch die vielen kleinen Kommunikationspannen des vergangenen Jahres summierten sich zu einem massiven Reputationsschaden.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Berufsbild. Das Heft können Sie hier bestellen.

Weitere Artikel