Wer hat Angst vor künstlicher Intelligenz?

Rezension

Es gibt da diese eine Szene in Stanley Kubricks Film „2001: Odyssee im Weltraum“, an die zu erinnern lohnt, wenn man das Buch „Human + Machine“ zur Hand nimmt. In dieser Szene des Science-Fiction-Klassikers von 1968 wird der Supercomputer des Raumschiffs Discovery, HAL 9000, gefragt: „Haben Sie jemals darunter gelitten, dass Sie, trotz Ihrer enormen Intelligenz, von Menschen abhängig sind, um Ihre Aufgaben ausführen zu können?“ Und HAL antwortet: „Nicht im Geringsten. Ich arbeite gern mit Menschen.“

Eine Maschine, die von sich selbst sagt, sie arbeite gern mit Menschen – ist das ein tröstlicher Gedanke? Ein befremdlicher? Oder ein gruseliger gar?

Paul R. Daugherty und H. James Wilson sind keine Fans von „Odyssee im Weltraum“, oder jedenfalls nicht von einer Anschauung, die dieser Film ihrer Ansicht nach vermittelt. „Leider hat die volkstümliche Kultur lange dem Bild ‚Mensch versus Maschine‘ Vorschub geleistet“, monieren die Strategen der Managementberatungsfirma Accenture in ihrem gemeinsamen Werk.

Die Vorstellung, intelligente Maschinen stellten eine Bedrohung für die Menschheit dar und nähmen uns über kurz oder lang einen Großteil unserer Arbeitsplätze weg, habe nicht nur eine lange Geschichte. Sie habe sich leider auch in den Köpfen vieler Führungskräfte festgesetzt. „Aber solche Vorstellungen gehen nicht nur entsetzlich in die Irre; sie sind auch gefährlich kurzsichtig“, meinen die Amerikaner. 

(c) dtv

Human + Machine.
Künstliche Intelligenz und die Zukunft der Arbeit. 

Paul R. Daugherty und H. James Wilson,
274 Seiten, dtv, München, 25,00 Euro

Womit wir gleich bei der Kernthese des unaufgeregten, auf Verständlichkeit bedachten 274-Seiten-Werks zweier Tech-Enthusiasten wären. Sie lautet: Nein, Maschinen werden weder die Weltherrschaft übernehmen noch menschliche Arbeitskraft überflüssig machen. Vielmehr nimmt künstliche Intelligenz (KI) dem Menschen nicht allein stupide Routineaufgaben ab, sondern sie vermag die menschlichen Fähigkeiten zu verstärken, sie zu erweitern, homo sapiens gleichsam mit „übermenschlichen Kräften“ auszustatten – sofern dieser die KI lernen lässt. Diese These zieht sich wie ein roter Faden durch die zwei Teile und acht Kapitel des Buchs. 

Auch für Skeptiker ist es lesenswert. Eigentlich jedoch ist es für solche Leser geschrieben, die in ihrer eigenen Arbeitsumgebung Veränderungsbereitschaft hegen. Ziel der Autoren ist es nach eigenem Bekunden, Lesern mit „Human + Machine“ notwendige Kenntnisse zu vermitteln, durch die sich im Zeitalter der KI die Gewinner von den Verlierern unterscheiden lassen. Zuhauf finden sich Anleitungen, Anregungen und Beispiele, etwa aus einem BMW-Werk in Deutschland. 

Kapitel fünf etwa beschreibt anschaulich, wie infolge maschinellen Lernens gänzlich neue, vielfältige Tätigkeiten entstehen könnten. „Eine solche neue Funktion ist die des ‚Machine Relations Managers‘; sie ähnelt der eines Personalmanagers, nur mit dem Unterschied, dass nicht menschliche Arbeitskräfte, sondern KI-Systeme beaufsichtigt werden“, heißt es. Eine befremdliche Perspektive für die HR-Zunft? Oder doch eher eine Chance? Und wo bleibt da das Human in HR? 

So viel ist nach der Lektüre von „Human + Machine“ klar: Sehen (Groß-)Unternehmen Maschinen bloß als Ersatz für Menschen, werden sie früher oder später hinter solche Konkurrenten am Markt zurückfallen, die Menschen mithilfe von Maschinen befähigen, über sich und alles bislang Gekannte hinauszuwachsen.

Was HAL 9000 dazu wohl gesagt hätte?

 

Fazit:

(c) Quadriga Media Berlin

(Sollte man gelesen haben)

Lesenswerter, beinahe enthusiastischer Leitfaden, um KI zu verstehen und Chancen zu erkennen. Geeignet vor allem für wohlwollende Führungskräfte – aber auch für Skeptiker. 

 

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe KONKURRENZ. Das Heft können Sie hier bestellen.