Breitbeiniger Auftritt und charmante Konsequenz

Medientraining

Als Volontär lud mich der neue Redaktionsleiter zum Gespräch: „Ich bin jetzt Redaktionsleiter und möchte das mit Inhalt füllen. Was schlagen Sie vor?“ Ich brach das Gespräch ab, machte einen Termin beim Verlagschef und wollte einen anderen Redaktionsleiter. Unser Verleger glättete meine Wogen mit einer Prämie von 500 D-Mark. Der Redaktionsleiter wurde angewiesen, anders zu führen. Führungsprinzip des Verlegers: Belohnung und Bestrafung. Das funktionierte damals. Es war Anfang der 1990er Jahre.

Dieser Führungsstil hat mit modernem Leadership nichts zu tun. Leadership ist in harten Kennzahlen zu messen: Motivierte Mitarbeitende werden seltener krank, bringen bessere Ergebnisse, sind zufriedener und kreativer. Erfolgreiches Leadership macht die Arbeitswelt ein Stück besser.

Räumen wir zunächst den Unfug beiseite. Sie haben vielleicht von einer 55-38-7- oder auch 7-38-55-Regel gehört, wonach Körpersprache und Mimik zu 55 Prozent unsere Kommunikation prägen würden, zu 38 Prozent die Stimme entscheidend sei und nur zu 7 Prozent der Inhalt. Das klingt einleuchtend und plausibel. Dass es Unfug ist, diese Formel zur Leadership-Analyse heranzuziehen, wissen Sie, wenn Sie weiterlesen.

Diese Formel aus dem Jahr 1971 wird gerne von Coaches gegenseitig abgeschrieben, ohne sich jemals mit der Studie beschäftigt zu haben. Wenn der Inhalt nur zu 7 Prozent zählt, braucht man sich als Coach nämlich nicht mehr inhaltlich vorzubereiten und hat seine Tagessätze locker verdient. Urheber der Studie ist Professor Albert Mehrabian, der seit über 20 Jahren gegen die Fehlinterpretation seiner Studie kämpft. Er hat Sätze untersucht, wie zum Beispiel „Schön, dass Sie da sind“. Sie wissen ohne diesen Satz bereits, dass Sie „da sind“. Folglich ist nicht der Inhalt – „da“ – entscheidend, sondern die Wertung „schön“. Sie entfaltet ihre Glaubwürdigkeit ausschließlich durch Mimik, Gestik, Körpersprache und die Stimme.

Mitarbeitende achten sehr wohl darauf, welche Inhalte ihnen von Führungskräften vermittelt werden. Sie haben ein untrügliches Bauchgefühl dafür entwickelt, wer glaubwürdig ist – Inhalt sowie Stimme/Körpersprache sind synchron und im Einklang miteinander – oder wer nur emotionale Vokale auswendig gelernt hat. Unterstrichen von einer hölzernen Gestik, die von der Augsburger Puppenkiste abgeschaut sein könnte: starre Hände, ausladende Arme mit immer gleichen Bewegungsabläufen und ein übertriebenes Kopfwackeln beim Sprechen.

Authentizität ist beim Leadership-Coaching ein stark strapaziertes Wort. Leadership ist ein ganzheitliches Konzept. Ist die innere Haltung zu den Inhalten in der Balance, bedarf es nur Nuancen in der Korrektur von Stimme und Auftreten, um erfolgreich als Leader (w/m/d) wahrgenommen zu werden.

Es wird immer so sein, dass mal die Gestik, mal die Stimme stärker in der Wahrnehmung ist. Beispielsweise genau dann, wenn der Belegschaft trotz harter Einschnitte Hoffnung gemacht werden muss. Man merkt sehr schnell, ob sich hier jemand kurz vor dem Termin zwei, drei Gesten angeeignet hat, die genau auf diesen Inhalt einzahlen sollen.

Gesten fürs Leadership

Natürlich gibt es körpersprachliche Elemente, die eher auf den Index gehören als andere. Nehmen wir als Beispiel das breitbeinige Sitzen bei Männern mit vorgebeugtem Oberkörper. Wer in dieser Haltung einem überwiegend weiblichen Publikum gegenübersitzt, wirkt prollig. Diese Körpersprache ist zu vermeiden und durch manierlich übereinandergeschlagene Beine zu ersetzen. Faustregel: Knie auf Knie. Dadurch kommt auch der Oberkörper automatisch nach oben.

Wechseln wir einmal das Setting. Eine männliche Führungskraft setzt sich zu einer Gruppe Monteure in die Industriehalle. Hier schaffen die manierlich übereinandergeschlagenen Beine eher Distanz, weil die Führungskraft über den Körper anders spricht als seine überwiegend männlichen Monteure. Hier breitbeinig zu sitzen oder insgesamt etwas breitbeiniger aufzutreten, unterstreicht Verbundenheit und Nähe. Selbst wenn Sie jetzt noch eventuell anwesende weibliche Monteure in die Situation einbringen: Die haben sich längst an die etwas barockere Körpersprache ihrer männlichen Kollegen gewöhnt.

Körpersprache-Ratgeber empfehlen, das Verschränken der Arme vor der Brust zu vermeiden. Das gilt gleichermaßen für Frauen wie für Männer. Diese Haltung wird mit Ablehnung und Distanzaufbau interpretiert. Nehmen Sie diese Haltung bitte beim Lesen dieser Zeilen einmal ein. Nun verändern wir zwei Dinge: Sie halten den Kopf leicht schräg und nehmen die eine Hand, deren Finger nun unter dem Oberarm des anderen Armes klemmen, nach vorne. So liegen beide Hände sichtbar auf den gegenüberliegenden Oberarmen. Die Arme sind weiterhin vor der Brust verschränkt, aber diese Körpersprache sagt jetzt aus: Ich handle nicht, aber ich bin aufmerksam und höre dir zu. Ich schalte meine Aktivitäten (Gestik mit den Händen/Armen) ab und bin nur für dich da. So kann eine ursprünglich als ablehnend bezeichnete Körperhaltung konstruktive Kraft entfalten.

Zeigen die Handflächen beim Sprechen nach oben, wird der Inhalt eher als positiv empfunden. Zeigen die Handrücken nach oben oder zum Gesprächspartner hin, handelt es sich eher um negativen Inhalt. Das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass der Handrücken ausschließlich negative Körpersprache ist. Nehmen wir den Satz „Wir dürfen uns nicht ständig vom Wettbewerb die besten und fettesten Aufträge wegschnappen lassen“. Hier ist das Appellative in der Aussage positiv („Lasst uns gemeinsam mehr Anstrengungen unternehmen“), wäre jedoch mit mehreren energischen Auf-und-Ab-Bewegungen mit dem Handrücken zum Publikum besser kommuniziert.

Eine weibliche Führungskraft zeigte mir ein Video von einer anderen Managerin und wollte unbedingt so sein wie ihr Vorbild. Das gewählte Vorbild performte ausgesprochen gut und wirkungsvoll. Ich war schockiert, denn meine Coachee (sehr feminin) war ein komplett anderer Typ als die von ihr bewunderte Frau (sehr burschikos). In diese Richtung zu coachen wäre ein Desaster geworden. Sie können Andrea Nahles und Annalena Baerbock nicht mit den gleichen Tools für einen optimierten Leadership-Auftritt vorbereiten.

Feminin und inhaltliche Schärfe

Bei weiblichen Führungskräften arbeite ich unter dem Arbeitstitel „Charmante Konsequenz“, der sich nach gelegentlichem Widerstand schnell durchsetzt.

Zunächst haben die Coachees den Eindruck, man wollte sie auf „Weiblichkeit“ reduzieren – aber das Gegenteil ist der Fall. Man erweitert die Weiblichkeit um eine zielgerichtete und direkte Ansprache. Gewissermaßen das Beste aus beiden Welten. In den meisten Fällen fällt es Frauen leichter, charmant zu wirken, als Männern. Viele weibliche Führungskräfte reduzieren ihre Kleidung um feminine Aspekte und setzen eher auf Hosenanzüge wie Angela Merkel oder Ursula von der Leyen als auf moderne Kleider wie Annalena Baerbock.

Hier hat die aktuelle Außenministerin den Frauen einen enormen Dienst erwiesen, weil sie im Wahlkampf stets feminin auftrat und ihre Schärfe inhaltlich entfaltete. Auf viele Männer wirkt das immer noch überraschend und bei den Konfrontationen im TV konnte man sehen und hören, wie Armin Laschet seine Schwierigkeiten hatte, dem Baerbock-Auftritt substanziell etwas zu entgegnen, was die Zuschauer tatsächlich begeistern konnte. Baerbock hat sich gegenüber Laschet stets besser verkaufen können – mit charmanter Konsequenz.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Leadership. Das Heft können Sie hier bestellen.

Weitere Artikel