Wenn sich die ZDF-Sendung „Die Insider“ mit einem Unternehmen beschäftigt, steht vorher fest, was in den Köpfen der Zuschauer hängenbleiben soll. Der Vorwurf, die ausgesuchte Firma handele unmoralisch und wende fragwürdige Geschäftspraktiken an, passt immer. Wahlweise werde mit Mitarbeitern mies umgegangen, Nachhaltigkeit nur vorgespielt oder Greenwashing und Verbrauchertäuschung betrieben. Es ist wie ein Baukasten, mit dem sich die Sendung die gewünschte Storyline zusammenbastelt.
„Die Insider“ schaut sich Unternehmen an, die jeder kennt und über die man sich trefflich ärgern kann: Deutsche Bahn, Rossmann, AIDA, Lidl und IKEA waren es in den bisherigen Folgen. Die bekannten Namen sorgen für Emotionalität. Und: Andere Medien berichten dann über die Vorwürfe. Das ZDF freut sich. „Die Insider“ ist kein investigatives journalistisches Format, das tiefgehende Skandale aufdeckt. Auch die würden sich in den entsprechenden Unternehmen sicherlich finden lassen. Hier geht es um plakative Aufreger, die die Verbraucher mit ihren eigenen Erfahrungen verbinden können.
In der neuesten Folge von „Die Insider“ steht der Touristikkonzern TUI am Pranger. Die Berliner Produktionsfirma Filmfee hat wie bei den vorhergehenden Episoden wieder „Insider“ aufgetan. Das sind ehemalige TUI-Mitarbeiter, die ausschließlich Negatives über das Unternehmen zu berichten haben, für das sie zum Teil viele Jahre tätig waren.
Die vier (Ex)-Mitarbeiter wollen nicht erkannt werden. In der TUI-Folge wurden die ehemaligen Beschäftigten deshalb auf groteske Art verkleidet, mit Perücken ausgestattet und mit reichlich Make-up hergerichtet. Die frisch Maskierten sind die Hauptakteure der Sendung. Als Whistleblower berichten sie dann vor der Kamera über ihre Erfahrungen. Die übertriebene Verkleidung ist ein Markenzeichen des Formats, geht aber zulasten der Glaubwürdigkeit, weil es geschauspielert wirkt.
Nachfrage beim ZDF: Wer sind die Leute in der TUI-Sendung? „Es waren tatsächliche ehemalige Beschäftigte. Alle Protagonisten haben Dokumente vorgelegt, die ihre Beschäftigung belegt haben. Grundsätzlich gilt: Die Angaben der ehemaligen Mitarbeiter im Film sind stets durch mindestens zwei weitere Quellen belegt worden“, versichert der Sender gegenüber KOM. Eine Gage für die Interviews sei nicht gezahlt worden. Für zwei Drehtage mit An- und Abreise und Hotelübernachtung hätten die Protagonisten allerdings eine Aufwandentschädigung zwischen 600 und 800 Euro erhalten, erklärt das ZDF.
Vorwurf reiht sich an Vorwurf
Kern der Sendung ist, dass Vorwürfe aneinandergereiht werden. Ernst zu nehmende Kritik und Banalitäten werden in den knapp 45 Minuten vermischt. Reale Personen sind selten zu erkennen. Gesichter werden meist verpixelt. Vieles basiert auf nachgesprochenen Gedächtnisprotokollen. Es soll investigativ wirken.
Wie die Unternehmen in vorhergehenden Folgen sieht sich auch TUI reichlich Vorwürfen ausgesetzt. Der Reiseveranstalter wollte diese allerdings nicht auf sich sitzen lassen und hat sich gegen die in der Sendung erhobenen Behauptungen gewehrt. Auf seiner Website hat TUI ein Statement veröffentlicht, in dem das Unternehmen die Aussagen einordnet und zu entkräften versucht. Das gelingt nicht vollständig.
Einer der ernsteren Vorwürfe ist, dass auf TUI-Kreuzfahrtschiffen mehr als 30 Prozent der Essensreste über Bord entsorgt würden. Bei den Zuschauern entsteht aufgrund der wenig detaillierten Darstellung und fehlender Erklärungen ein Bild, als ob in Geheimmission haufenweise Schnitzel, Pommes und Pasta über Bord geschmissen würden. Erklärt wird in „Die Insider“ sowieso kaum etwas.
Es ist mit dem Essen etwas komplexer. Reste würden an Bord gepresst, getrocknet und entweder verbrannt oder landseitig entsorgt, schreibt TUI in seinem Statement. Die Flüssigkeit werde nach UV-Desinfektion ins Meer abgeleitet. Lebensmittelreste ohne Knochen oder Schalen würden allerdings ins Meer gegeben, wenn keine Entsorgung an Land möglich sei. Es ist in dem Statement von „internationalen gesetzlichen Vorgaben“ die Rede. „Negative ökologische Folgen“ würden nicht entstehen. Das mag alles stimmen. Dass Kreuzfahrtschiffe im Jahr 2025 überhaupt Essensreste ins Meer leiten, dürfte viele Zuschauer dann doch überraschen. Appetitlich ist es ebenfalls nicht.
Wenig transparent wirkt das angeprangerte Buchungssystem für Reisen mit Kindern. Das Versprechen: „TUI wirbt mit dem Versprechen, dass Kinder bis 15 Jahre kostenlos reisen.“ Wie häufig bei Reiseveranstaltern sollte man das Kleingedruckte und die Fußnoten beachten. In dem dargestellten Beispiel geht es um den Preis für ein Doppelzimmer im Vergleich zu dem teureren Doppelzimmer mit einem Zustellbett für zwei Kinder. Das TUI-Statement „Unsere Ausschreibungen informieren transparent über die jeweilige Zimmergröße und die möglichen Belegungen. Am Ende trifft der Kunde die Wahl“ lässt sich durchaus so interpretieren, dass Urlaubswillige während des Buchungsprozesses aufpassen sollten, um keine Überraschungen zu erleben.
„Effekthascherei“
TUI geht in seiner Kritik allerdings noch weiter und beklagt die gesamte Machart der Sendung. In dem Online-Statement heißt es, „dass ‚Die Insider‘ weniger an einer wahrheitsgemäßen Darstellung als an einer Effekthascherei interessiert waren.“ Und: „Wir fragen uns, warum das ZDF als öffentlich-rechtliche Medienanstalt so wenig Qualitätskontrolle betreibt.“ Es fehle an Ausgewogenheit.
Positive Erfahrungen mit TUI finden in der Sendung tatsächlich keinen Platz. Auch journalistisch wird der Dramaturgie wegen mit schlichten Methoden gearbeitet. Zum Beispiel mit „unterhaltsamen Straßenumfragen“, wie es in der offiziellen ZDF-Ankündigung heißt.
Die Straßenumfrage sieht so aus, dass in einer Berliner Einkaufszone ein Hotelzimmer aus Pappe nachgebaut wurde. Angeblich zufällig vorbeikommende Passanten werden gefragt, ob auf sie dieses Pappzimmer beengt wirke und ob sie sich so einen erholsamen Urlaub vorstellen. Die Passanten antworten fast durchweg, dass ihnen die Ansammlung aus Pappmöbeln doch recht klein erscheint. Alles andere wäre auch überraschend. Ob sich eine gestellte Kulisse mit einem Zimmer vergleichen lässt, in dem man eventuell draußen das Meer rauschen hört und in Urlaubsstimmung ist, sei mal dahingestellt. Das Set-up ist reichlich unrealistisch.
Zweimal diente das Schwimmbad „Tropical Islands“ als Kulisse. Das hat einen aufgeschütteten Sandstrand, was der Produktionsfirma ausreichte, um einen Bezug zu Urlaub herzustellen. Badegäste sollten eine Einschätzung geben, was sie unter einem „Fußmarsch zum Strand“ verstehen. Das ist zwar schön plakativ, aber auch subjektiv. Dabei gibt es zig Gerichtsurteile, die genau solchen Fragen nachgegangen sind. Erwähnt werden sie nicht. Ein anderes Mal wurden die Schwimmbad-Besucher gebeten, sich zwischen einem gut gefüllten und einem halbleeren Büffet zu entscheiden. Die Gäste entscheiden sich überwiegend für die Gerichte in den vollen Schüsseln, weil sie frischer und wärmer erscheinen. Wer hätte das gedacht?
Ein weiterer Vorwurf: Der Reisekonzern fotografiere seine Anlagen und Hotels stets vorteilhaft. Eine Baustelle werde nicht mitfotografiert. Aufnahmen würden von oben gemacht, damit es „schön weitläufig aussieht“. Das ZDF hätte sich mal seine eigene Programmwerbung anschauen sollen. Wird dort nicht ebenfalls das Positive in den Vordergrund gerückt?
So geht es weiter. Auf Kreuzfahrtschiffen gebe es nicht für jeden Gast eine Sonnenliege. Wer braucht die denn? Viele Urlauber wollen nicht rumliegen; schon gar nicht gleichzeitig. Die Animateure würden die Hotelgäste fast ausnahmslos per „du“ ansprechen. Das werten die Sendungsverantwortlichen als ein Indiz, dass TUI seine Gäste emotional manipulieren will, damit sie erneut eine Reise buchen. Was dem Rechercheteam so gar nicht schmeckt: In den Hotels und Anlagen würde ständig der Club-Song „Magic in the air“ gespielt. TUI würde auch so seine Gäste manipulieren. Sie hätten dann Spaß und würden zuhause an Sonne, Strand, Meer und irgendwie auch an TUI denken. Für das ZDF sind Verbraucher offenbar leicht verführbare Trottel.
Der Touristikkonzern ist nicht das erste Unternehmen, das mit einem Statement auf eine Episode von „Die Insider“ reagiert. Anfang 2024 hatte sich die Deutsche Bahn gegen Vorwürfe in der Sendung gewehrt und das Format als „oberflächlich, irreführend und unfair“ kritisiert. Grund war eine deutlich zu hohe Angabe über vermeintliche Emissionen der Bahn. Das ZDF korrigierte daraufhin die Folge. Die Produktionsfirma wurde allerdings nicht ausgetauscht. Nun wehrt sich auch TUI. „Unser Statement sollte auch den TUI-Mitarbeitenden in Deutschland – vom Reisebüro über die Crew an Bord bis zum Head Office – eine Unterstützung für die Gespräche mit Gästen oder Bekannten sein“, erklärt der Reiseveranstalter.
Wie bewertet das ZDF die Kritik des Unternehmens an der Sendung? „Das ZDF weist die Vorwürfe von TUI zurück. Die Verkaufsmaßnahmen, mit denen TUI beispielsweise bei den Katalog-Angeboten arbeitet, die Diskrepanz zwischen Sterne- und Sonnen-Bewertungen, die im Verhältnis zu den Passagieren zu geringe Zahl an Liegen auf Kreuzfahrtschiffen oder die Tatsache, dass Lebensmittelreste teilweise geschreddert und ins Meer entsorgt werden, wurde durch mehrere Quellen belegt“, erklärt der Sender. Neue Folgen der Reihe „Die Insider“ seien aber nicht geplant.