Nachhaltigkeit: Darf man das noch sagen?

CSR-Kommunikation

Nachhaltigkeit ist derzeit kein Gewinnerthema. Die konjunkturell schlechte Lage, der politische Wechsel in den USA, die daraus folgenden Turbulenzen und diverse nationale und internationale Krisen haben die Nachhaltigkeit aus dem Mainstream zurück in die Öko-Ecke gedrängt. Nach dem Motto „Nachhaltigkeit können wir uns derzeit nicht leisten“ forderten viele Unternehmen lautstark Erleichterungen bei Berichtspflichten und Bürokratie. Und die Politik hat reagiert: Mit ihrem Omnibus-Paket hat die Europäische Union begonnen, zentrale Teile ihrer Nachhaltigkeitsregulatorik zu entschärfen – manche sagen gar, zu entkernen. Die EU-Taxonomie, das europäische Lieferkettengesetz CSDDD sowie die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die die nichtfinanzielle Berichterstattung revolutionieren sollte, werden verschoben, vereinfacht und reduziert. Auch in Deutschland hat sich die neue Regierung in den Koalitionsverhandlungen darauf geeinigt, das nationale Lieferkettengesetz abzuschaffen. Der Tenor sowohl auf europäischer als auch auf deutscher Ebene: Der bürokratische Aufwand für Unternehmen, den Reporting-Pflichten nachzukommen, muss signifikant verringert werden.

Diese Forderung ist legitim. Doch die Politik ist mit dem neuen Vorstoß über das Ziel hinausgeschossen. Durch die Vereinfachung und Reduzierung der Berichtspflichten bleiben viele Unternehmen und ihre Aktivitäten weiterhin intransparent. Die notwendige Transformation unserer Wirtschaft wird dadurch signifikant verlangsamt. Die Politik sendet damit das Signal: Nachhaltigkeit muss warten – es herrscht wieder das Primat des Wirtschaftswachstums.

Alles vorbei? Nein!

Ist es also vorbei mit der Nachhaltigkeit? Stellen Unternehmen ihre Aktivitäten ein und Kommunikationsabteilungen dürfen nicht mehr darüber reden? Keineswegs. Vor lauter Omnibus und Trump wird eines häufig übersehen: Die Initiativen rund um CSRD und Co. haben bereits bewirkt, was sie bewirken sollten. Sie haben einen Prozess angestoßen. Bei der viel kritisierten Reportingpflicht ging es nie darum, direkt im ersten Jahr perfekte Berichte zu produzieren. Der Sinn der Regel ist ein anderer. Unternehmen sollten sich anhand der neu erhobenen Kennzahlen der eigenen Nachhaltigkeitsbilanz bewusstwerden.

Finanzkennzahlen haben sich längst als Standard in der Unternehmensführung etabliert, doch sie zeigen kein vollständiges Bild. Die CSRD-Berichte sollen ein vollständigeres Bild zeichnen, auch und gerade für die Unternehmen selbst. Nur mit der richtigen Datengrundlage können zukunftsweisende Entscheidungen gefällt werden.

Theorie bewahrheitet sich in der Praxis

Die CSRD-Berichte sollen Transparenz und Vergleichbarkeit verbessern, um den Veränderungsdruck von außen zu erhöhen – durch Investoren, die Öffentlichkeit und NGOs. Der Druck wird nun, da weniger Unternehmen berichtspflichtig sind, weniger stark ausfallen. Doch die ersten rund 500 Unternehmen in Deutschland – mit mehr als 500 Mitarbeitenden und kapitalmarktorientiert – legen dieses Jahr ihren ersten CSRD-Bericht vor, zahlreiche Berichte sind bereits veröffentlicht. Diejenigen Unternehmen, die 2026 oder 2027 hätten berichten müssen, haben schon interne Strukturen aufgebaut, um die erforderlichen Daten zusammenzutragen. Es wurde investiert.

Und wo einmal investiert wurde, wird nicht sofort wieder alles weggekürzt. Das gilt insbesondere, da die Unternehmen zunehmend feststellen, dass die Berichterstattung Vorteile hat. Die zusammengetragenen Daten, Kennzahlen und Erkenntnisse bieten einen neuen Blick auf Schwachstellen und Potenziale. Was die Befürworter der CSRD seit Jahren sagen, bewahrheitet sich nun in der Praxis: Die CSRD und die Daten, die sie zutage fördert, haben strategischen Wert für Unternehmen.

Kurz gesagt: Es geht ums Geld. Nicht nur unternehmensintern, sondern auch und insbesondere extern. Banken und Investoren verlangen nach entsprechenden Kennzahlen. Sie sind zentraler Teil ihres Risikomanagements und somit ihrer Investitionsentscheidungen. Je besser die Nachhaltigkeitsbilanz eines Unternehmens, umso günstiger die Finanzierung.


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Es wird spannend für die Kommunikation

Was bedeutet das für die Kommunikation? Sollten Kommunikatoren aufhören, über Nachhaltigkeit zu reden, weil bei vielen sofort der Puls steigt, wenn sie das vermeintlich „woke Gewäsch“ hören? Keinesfalls. Gerade jetzt wird es für die Kommunikation spannend. Jetzt geht es darum, insbesondere nach innen zu erklären, warum Nachhaltigkeit weiterhin wichtig ist – und was sie eigentlich bedeutet. Jetzt gilt es, das Thema aus der Öko-Ecke rauszuholen. Denn es geht nicht um grüne Ideologie. Es geht um Resilienz und Zukunftsfähigkeit. Es geht ums Geld. Es geht um Sicherheit, um Risiken und Potenziale. Es geht um ein gutes Arbeitsklima und Arbeitsschutz ebenso wie um Nachwuchskräfte aus dem Arbeitsmarkt, möglichst günstige Kredite und ein Geschäftsmodell, das auch die nächste Krise und das nächste Hochwasser übersteht.

Seit 1.000 Tagen kein Unfall in der Produktion? Die Fluktuation im Unternehmen wurde gesenkt, Mitarbeitende konnten in stabilen Teams zusammenarbeiten?  Mit der Photovoltaik-Anlage auf dem Dach wird jeden Tag bares Geld gespart? Alles Effekte von Nachhaltigkeit.

Zeit für neue Begriffe

In diesen Zeiten des kalten Gegenwinds ist es also gerade die Aufgabe von Kommunikatoren, Nachhaltigkeit zu erklären – neu und anders, mit allen harten Business-Facetten, die zum Thema gehören. Dafür bieten die CSRD-Berichte und deren Vorstufen die ideale Ausgangslage. Das Reporting bietet für die Unternehmenskommunikation einen wertvollen Datenschatz, der gezielt für faktenbasierte Geschichten zum Unternehmen genutzt werden kann.

Nachhaltigkeit lässt sich aktuell nicht mit dem Zeitgeist begründen. Es ist daher Zeit für neue Begriffe und ein neues Verständnis. Raus aus der vermeintlich grünen Ideologie, hin zu Business-Realitäten. Das ist vor allem die Aufgabe der Kommunikation. Kommunikationsverantwortliche sollten interne und externe Stakeholder abholen und deutlich machen, warum gerade sie von einem nachhaltigen Engagement profitieren. Nachhaltigkeit ist ein Engagement für die Zukunft.

Nachhaltigkeit nun wieder als reines Compliance- oder Finanzthema zu betrachten, wäre ein Fehler. Den eher kritischen Zeitgeist auszusitzen und darauf zu warten, dass „man das wieder sagen darf“ auch.

Die Kugel rollt längst

Nachhaltigkeit, egal mit welchem Begriff sie beschrieben wird, wird nicht verschwinden.  Die Wirtschaft steht in den kommenden Jahren vor einem Lern- und Anpassungsprozess. Die Berichterstattung über nichtfinanzielle Kennzahlen wird zum Standard werden. Banken und Investoren werden Auskünfte verlangen. Durch die breiter werdende Berichterstattung werden sich Best Practices herausbilden, auch bei Unternehmen, die nicht (mehr) unter die CSRD fallen. Der Prozess ist längst angestoßen.

Es gilt weiterhin die Devise: Tue Gutes und rede darüber – nach innen, wie nach außen.

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