Nach der AfD-Wahlwerbung von Tesla-Chef und X-Besitzer Elon Musk in der „Welt am Sonntag“ und online bei „Welt“ arbeitet die Chefredaktion nun intensiv daran, die Veröffentlichung des Gastbeitrags in ein für sie positives Licht zu rücken. Der Text sowie die beiden erschienenen Gegenpositionen sollen als Beleg dafür dienen, dass das Medium besonders debattenfreudig ist und Raum für konträre Meinungen bietet.
Musk hatte zu Schlagworten wie „Wirtschaftliche Wiederbelebung“, „Zuwanderung“ und „Energie“ eine derart oberflächliche Analyse des AfD-Programms geliefert, dass Jan Philipp Burgard als neuer Chefredakteur der „Welt“-Gruppe inzwischen in der „FAZ“ die Unterkomplexität des Beitrages einräumte und sein Vorgänger Ulf Poschardt sich in der „SZ“ angesichts der fehlenden Qualität enttäuscht zeigte. Poschardt ist seit Januar Herausgeber der Premium-Gruppe.
Von einer Veröffentlichung abgehalten hat sie der Qualitätsmangel genauso wenig wie die zahlreichen kritischen Stimmen in der eigenen Redaktion. Die Leiterin des Meinungsressorts, Eva Marie Kogel, begründete sogar ihre Kündigung mit Erscheinen des Artikels.
Die öffentlichen Reaktionen reichen von Scoop bis Skandal. Ein Scoop ist es höchstens deshalb, weil ein Gastbeitrag von Musk als reichster Mensch der Welt und enger Vertrauter von Donald Trump in einem deutschen Medium eine Rarität ist.
Inhaltlich ist der Beitrag zu substanzlos, um sich als „Welt“ damit zu schmücken. Musk prognostiziert Deutschland eine düstere Zukunft. Mit Fakten unterfütterte Argumente und kluge Gedanken fehlen weitgehend. Dass Musk so wenig geliefert hat und sein Text trotzdem erschien, ist für die „Welt“ ein Armutszeugnis. Qualitätsanspruch? Bei der „Welt“ nicht immer. Offenbar hielt es der Unternehmer nicht für nötig, so viel Zeit zu investieren, dass mehr als triviale Parteiwerbung herauskommt. Als Musk seinen Beitrag auf X verbreitete, schrieb er dazu passend den Titel der Zeitung falsch: „Weld“.
Reihenweise distanzierten sich Journalisten des Hauses von Veröffentlichung und Inhalt. Der Artikel erschien trotzdem. Ihre Kollegin Eva Marie Kogel ließen die „Welt“-Führungskräfte öffentlich im Regen stehen. Allein Politikjournalist Robin Alexander hatte neben zu anderen Medien abgewanderte Ex-Kollegen für sie wertschätzende Worte übrig.
Aufmerksamkeit garantiert
Falls es „Welt“ und Axel Springer darum gegangen sein sollte, Aufmerksamkeit zu generieren, wurde das Ziel zumindest erreicht.
Reichweite gab es auch aus dem Musk-Lager. Seinen Fans passten die Gegenpositionen in der „Welt“ nicht. Die Webvideoproduzentin Naomi Seibt, deren Inhalte Musk häufiger auf X teilt, holte richtig aus und beleidigte Welt-Redakteurin Franziska Zimmerer, indem sie deren Intelligenz in Frage stellte. Zimmerer hatte in einem Kommentar erläutert, warum sie Musks Beitrag nicht gedruckt hätte. Aus Markensicht ist man bei der „Welt“ über solche Reaktionen vielleicht gar nicht unglücklich. Sie lassen sich als Beleg anführen, für alle Seiten unbequem zu sein und keiner Debatte aus dem Weg zu gehen.
Beim überwiegenden Teil der Leser in Deutschland dürfte etwas anderes hängen bleiben: dass die „Welt“ Wahlwerbung für die AfD gemacht hat.
Leser unterscheiden nur begrenzt zwischen der Meinung eines Gastautors und der Haltung eines Mediums. Weil der Text bei „Welt“ erschien, ist er für sie ein „Welt“-Beitrag. Neuigkeitswert hatte der Artikel keinen. Musks Position war vorher bekannt. Über seinen Tweet „Only the AfD can save Germany“, der die Basis für die Ausführungen darstellte, wurde vor Weihnachten umfangreich berichtet.
Reputation ist sekundär
Für Chefredaktion und Verlag waren mögliche Risiken des Gastbeitrags für die Reputation offenbar zweitrangig. Sie wollten den Super-Promi Musk als Autor unbedingt im Blatt sehen. Der Name allein garantiert Reichweite und Klicks und sorgt je nach politischer Präferenz für Beifall oder Empörung.
Bei Axel Springer ist die Bewunderung für den Unternehmer sowieso groß. Es gibt weltanschauliche Überschneidungen. Poschardt ist Musk-Fan. 2020 hatte der Verlag dem heutige 53-Jährigen für seine unternehmerische Leistung mit dem Axel Springer Award ausgezeichnet. Vorstandschef Mathias Döpfner soll mit dem Tesla-Boss gut bekannt sein.
Dessen prominente Rolle in der künftigen Trump-Regierung dürfte die Motivation zusätzlich erhöht haben, ihn ins Blatt zu holen. Trump und Musk arbeiten daran, klassische Medien irrelevant werden zu lassen. Vor allem das für Springer in den USA wichtige Medium „Politico“ dürfte ein großes Interesse daran haben, auch unter diesen Bedingungen Zugang zur neuen Administration zu bekommen.
Musks Gastbeitrag ist die Ausarbeitung der erwähnten AfD-These. Dass der Text in jedem Fall erscheinen würde, stand mit der Anfrage fest. Jemandem wie Musk einen schlechten Artikel mit der Bitte zurückzuschicken, diesen noch einmal zu überarbeiten, ist kaum denkbar. Genauso wenig, den Beitrag gar nicht erscheinen zu lassen.
Der Tech-Unternehmer gilt als unberechenbar. Ihn zu verärgern, hätte dazu führen können, dass er die „Welt“ vor seinen mehr als 200 Millionen X-Followern an den Pranger stellt. Für das Medium wäre das der Supergau gewesen. Die „Welt“ positioniert sich als eine Publikation, die offen für Debatten und Kontroversen ist und verschiedene Meinungen zu Wort kommen lässt. Ausgerechnet einen Artikel Musks, der sich als oberster Verteidiger der Meinungsfreiheit inszeniert, zur AfD zensieren? Unmöglich.
Gegenrede mitgeliefert
In der „Welt“-Redaktion war man dann doch so weitsichtig, dass die AfD-Wahlempfehlung des Milliardärs nicht ohne Einordnung bleiben konnte. Man entschied, den zu dem Zeitpunkt noch designierten Chefredakteur der „Welt“-Gruppe, Burgard, eine Gegenrede schreiben zu lassen und sie neben Musks Einlassung zu veröffentlichen.
Anders als sein Vorgänger Poschardt oder der stellvertretende Chefredakteur Alexander besitzt TV-Mann Burgard bisher wenig journalistisches Profil. Am ehesten dürften ihn „Welt“-Zuschauer als Moderator der TV-Debatte zwischen Mario Voigt (CDU) und Björn Höcke (AfD) kennen.
Problem: Auf Augenhöhe mit Elon Musk bewegen sich die Journalisten alle nicht. Wäre es der „Welt“ darum gegangen, dem Unternehmer ein Schwergewicht entgegenzusetzen, hätte die Gegenrede Vorstandschef Mathias Döpfner schreiben müssen. Musk gegen Döpfner? Für den Springer-CEO, dem bis heute in den USA die Berichterstattung in der „New York Times“ im Zusammenhang mit Ex-„Bild“-Chef Julian Reichelt anhängt, wäre das keine attraktive Option gewesen.
Inwieweit Döpfner in die Text-Akquisition involviert war, ist unklar. Die Krisenkommunikation der „Welt“ zielt darauf ab, den Gastartikel möglichst weit von Döpfner fernzuhalten, obwohl er vermutlich den besten Draht zu Musk hat. Für das Medium sähe es nicht gut aus, wenn der Vorstandschef Einfluss auf die Berichterstattung genommen hätte. Eine Premiere wäre es nicht. Döpfners „Please Stärke die FDP“ an Reichelt ist legendär. Meinungsartikel schreibt der CEO häufiger für „Welt“ und „Bild“.
Als Firmenchef und Miteigentümer steht Döpfner allerdings zudem in der Pflicht, die Axel-Springer-Grundsätze hochzuhalten. „Wir unterstützen das jüdische Volk und das Existenzrecht des Staates Israel“, „Wir befürworten das transatlantische Bündnis zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Europa“ und „Wir lehnen politischen und religiösen Extremismus und jede Art von Rassismus und sexueller Diskriminierung ab“ lässt sich mit der AfD-Politik nicht in Einklang bringen.
Entstehung des Beitrags
Wie kam der Beitrag zustande? Es gibt verschiedene Erzählungen. Konsistent sind sie nicht. Sie widersprechen sich allerdings auch nicht.
Die „Süddeutsche Zeitung“ zitiert Poschardt damit, dass eine Redakteurin der „Welt“-Gruppe bei Musk angefragt habe, ob er seine AfD-These ausführen wolle. Nachfolger Burgard wiederum sagte der „FAZ“: „Die Entscheidung, den Text von Elon Musk zu drucken, haben wir nach intensivem Austausch mit Redaktionsvertretern, etwa mit dem Redaktionsausschuss, innerhalb der Chefredaktion getroffen. Und nirgendwo sonst. Es war auch ganz allein meine Entscheidung, dem Gastbeitrag von Elon Musk meine sehr entschiedene Erwiderung entgegenzusetzen.“ Neu-Chef Burgard will hier offenbar ganz nebenbei seine Macher-Qualitäten hervorheben.
Eine Wendung nahm das Ganze am Neujahrstag. Via X meldete sich Martín Varsavsky zu Wort.
Der argentinische Investor und Unternehmer bezeichnet sich als „friend of Elon“. Varsavsky ist Mitglied des Aufsichtsrats bei Axel Springer. Den Ablauf stellt er folgendermaßen dar: Er habe Jennifer Wilton, Chefredakteurin der Tageszeitung „Die Welt“, kontaktiert und ihr Interesse an einem Gastbeitrag Musks evaluiert. Nach Wiltons Go habe Varsavsky mit Musk Kontakt aufgenommen. Der habe dann den Artikel geliefert. Die englische Originalversion von Musks Text veröffentlichte Varsavsky auf X ebenfalls. Musk bestätigte diese Erzählung.
Was hat der Artikel gebracht? Der „Welt“ zumindest umfangreiche Berichterstattung – auch international. Dem Portal „Medieninsider“ zufolge soll der Musk-Artikel zu 212 digitalen Abo-Abschlüssen geführt haben. Wie viele Abos gekündigt wurden, ist nicht bekannt.