Wie ist es um die Digitalisierung in den Dax-40-Unternehmen bestellt? Dieser Frage sind wir bereits zum fünften Mal in unserem „Dax Digital Monitor“ nachgegangen und haben uns dafür die Geschäftsberichte 2023 der größten börsennotierten Konzerne Deutschlands angesehen. Ein Ergebnis: Das Themenfeld „Digitalisierung“ hat erneut an Bedeutung gewonnen. Allein der Begriff wurde diesmal insgesamt rund 5.340-mal verwendet, was einer Steigerung von 22 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Sieben Dax-Unternehmen widmen der Digitalisierung inzwischen einen eigenen Berichtsbereich.
Und auch das Themenfeld „Künstliche Intelligenz (KI)“ hat in den Berichten deutlich zugelegt. An insgesamt 1.440 Textstellen wird darauf eingegangen, was einem hohen Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr entspricht – damals tauchte der Begriff an gerade einmal 205 Textstellen auf.
Nun könnte man meinen, dass dies eine Steilvorlage für den Ausbau des Themas Digitalisierung/KI in den Führungsetagen der Top-Unternehmen sei. Doch das scheint mehr als fraglich.
Digitale Kompetenz in den Führungsetagen nimmt ab
Denn die digitale Kompetenz in den Führungsetagen befindet sich auf dem Rückzug. So ist nur noch in 68 Prozent (Vorjahr: 83 Prozent) der Dax-40-Unternehmen Digitalisierungsverantwortung im Top-Management verankert – ein Rückgang von 15 Prozentpunkten. Einen eigenständigen „Chief Digital Officer“ auf Vorstandsebene leistet sich nur noch ein Unternehmen (Vorjahr: drei).
Immerhin können noch zwei weitere Fälle mit ähnlichen Bezeichnungen und Funktionen in dieses Feld sortiert werden. Auch hier waren es im vergangenen Jahr noch mehr. In den anderen Unternehmen ist das wichtige Thema – wenn überhaupt vorhanden – nur noch in Kombination mit einem anderen Ressort zu beobachten. Digitalisierung scheint es offenbar nicht mehr wert zu sein, um ein eigenständiges Verantwortungs- und Kompetenzressort daraus zu machen. Das ist gerade vor dem Hintergrund der wachsenden Herausforderung der künstlichen Intelligenz problematisch.
KI ist in den Geschäftsberichten angekommen
Das Thema „Künstliche Intelligenz“ ist bei 95 Prozent aller Dax-Unternehmen in den Geschäftsberichten angekommen. Nur zwei Unternehmen – im Vorjahr waren es noch elf – erwähnen KI in der Berichterstattung überhaupt nicht. Insbesondere die generative künstliche Intelligenz wird bei 23 der 40 Dax-Unternehmen (58 Prozent) explizit erwähnt. Im Vorjahr wurde diese Form der KI noch in keinem einzigen Geschäftsbericht aufgeführt.
Im Hinblick auf die Branchen ist deutlich erkennbar, dass sich die Dax-Segmente „Elektronik, Hardware, Software“, „Finanzen“ sowie „Chemie, Pharma, Medizintechnik“ am intensivsten mit dem Thema auseinandersetzen. Das Segment „Maschinenbau, Verkehr, Logistik“ und alle weiteren Branchen berichten zumindest in deutlich geringerem Umfang zum Thema KI.
Allerdings lassen diese Befunde keinen grundlegenden Rückschluss auf die Planung sowie Nutzung und Bedeutung von KI bei den jeweiligen Unternehmen zu. Deswegen lohnt sich ein Blick ins Detail.
KI steht für Automatisierung statt Innovation
Wenn die deutschen Unternehmen etwas können, dann ist es die Steigerung von Effizienz. Unternehmensinterne Prozesse werden optimiert und automatisiert, um Kosten einzusparen. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn KI in erster Linie in diesem Feld zum Einsatz kommen soll. Viel spannender ist jedoch, ob die KI auch für Innovationen im Bereich der Produktentwicklung eingesetzt wird oder werden könnte. Doch hier sieht es in den Geschäftsberichten der Dax-Unternehmen deutlich magerer aus.
Ein Grund dafür könnte sein, dass die zurückgehende digitale Kompetenz in den Führungsetagen eine strategische Vorgabe für die Neuentwicklung von Produkten und Dienstleistungen mit KI verhindert. Denn wenn man Digitalisierung nur noch als Querschnittsaufgabe, als „Mittel zum Zweck“ und als Tool für die bekannten respektive anderen Ressorts interpretiert, dann fehlen die eigenständigen Impulse für Mut und Innovation eines „Chief Digital Officer“ auf der Kundenseite.
Digitale Verantwortung übernehmen
Gleichzeitig ist die Fokussierung auf das Altbewährte angesichts der vielen Herausforderungen, die KI mit sich bringt, verständlich. So stoßen Unternehmen schnell an die Grenzen von Datenschutz und Regulierung, von fehlender Datenkompetenz der Mitarbeitenden, von Verankerung der Digitalisierung und KI in den Führungsetagen und noch fehlender respektive zu optimierender Dateninfrastruktur für den Einsatz von KI-Technologien.
Doch ob sie so im Wettbewerb der Zukunft bestehen können, ist fraglich. Wer Innovationen treiben will, braucht also nicht weniger, sondern mehr digitale Kompetenzen in den Führungsetagen. Denn fest steht: Künstliche Intelligenz ist in den deutschen Dax-40-Unternehmen angekommen, um hoffentlich zu bleiben.
Über die Studie
Der „Dax Digital Monitor“ wird von Dirk Stein, Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der FOM Hochschule, und Tobias Kollmann, Professor für Digital Business und Digital Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen, in Kooperation mit dem KI-Lösungsanbieter QCI Corporation erstellt. Die Studie untersucht seit 2020 die Geschäftsberichte der Dax-40-Unternehmen zum Status quo ihrer Digitalisierung. Dazu gehören die berichteten Maßnahmen zur Digitalisierung, der Umfang und die Einheitlichkeit dieser Berichterstattung sowie die Verankerung eines Digital Leadership mit den zugehörigen Digitalkompetenzen auf der Top-Führungsebene. Auch die nichtfinanzielle Berichterstattung wird in diese Analyse mit einbezogen. In diesem Jahr wurden zusätzlich die Darstellungen zur Corporate Digital Responsibility (CDR) und zum Einsatz der künstlichen Intelligenz (KI) berücksichtigt.